Treppe

Entknotet

Heute morgen hatte ich meinen Termin zur Schilddruesenknotenbiopsie.

Waehrend Knoten in der Schilddruese erstmal nicht besonders selten oder besorgniserregend sind, sahen meine Knoten gross und verdaechtig genug aus um zum Wiederholungsultraschall berufen zu werden (zwei Knoten im rechten Lappen) und einer sah gemein genug aus um eine Biopsie anzuordnen (Mitte links). Das war Anfang Januar und gesellte sich froehlich zu meiner eben erst festgestellten Autoimmun-Ueberfunktion.

Ein bis drei Wochen sollte die Wartezeit bis zur Biopsie betragen, ich sei ein halb-dringlicher Fall.

Drei Monate spaeter fand der Termin dann auch tatsaechlich statt, was fuer kanadische Verhaeltnisse schon ziemlich flott ist.

Einchecken, aufgerufen werden, ueber Risiken aufgeklaert werden, nochmal alles durchlesen, unterschreiben, mit ueberstecktem Nacken auf die Liege begeben. Handtuch, ordentlich Ultraschallgleitmittel, Ultraschallkopf.

Schweigen.

Zwei Chirurginnen betreten den Raum, gewappnet mit einer Hand voll steril verpacktem medizinischem Geraet. Mit ueberstrecktem Nacken kopfueber ueber die Brillenglaeser nicht genau zu erkennen.

Alles ist bereit zur Zellentnahme. Es gibt nur ein Problem:

Meine Schilddruese hat keine Knoten mehr.

Die Bilder vom Januar werden auf einem anderen Bildschirm aufgerufen und diskutiert – jetzt sehe ich sie zum ersten Mal. Ja, es sieht ziemlich boesartig aus, wenn ich mein Suchmaschinenwissen als Massstab anlegen koennte. Klar abgegrenzt, kalkig, unregelmaessig geformt, schartig. Direkt am Isthmus angrenzend, dem mittleren Schilddruesenteil.

Es geht wieder an den Ultraschallkopf und mir an den Kragen. Die ganze Schilddruese wird langsam von oben bis unten und von links nach rechts im Querschnitt durchleuchtet, waehrend drei fachkundige Augenpaare und meine neugierigen aber kopfueber befindlichen Augaepfel auf den Monitor in Grautoenen starren.

Ultraschalltechnikerin: „Also hier waere eine Art Schatten, koennte das vielleicht ein Ueberbleibsel des grossen Knotens sein?“

Chirurgin 1: „Sind wir denn sicher, dass es genau die Stelle ist, an der der grosse Knoten war?“

Ultraschalltechnikerin: „…Nein. Es ist nur in der Naehe.“

Chirurgin 1: „Also wir werden nichts anstechen, was nicht klar abgegrenzt ist, das macht keinen Sinn.“

(Chirurgin 2 hatte keine Sprechrolle, sah aber interessiert und bemueht aus.)

Nachdem die Nadeln vom Tisch sind, wird beschlossen die geschossenen Bilder und Videos an einen Radiologen zu schicken, der einen Bericht an meine Aerzte schicken soll. Ich wische mir den verbleibenden Ultraschallglibber vom Hals und folge den blauen Pfeilen zum Ausgang des Krankenhauses.

Ich empfinde Dankbarkeit. Dafuer, dass ich mein Leben fuer mich stimmiger eingerichtet habe seit der Diagnose im Januar. Dafuer, dass mein Koerper was immer da wuchs, anscheinend absorbiert hat. Dafuer, dass ich so lange auf diesen Termin warten musste! Falls der Termin schon eine Woche nach dem Ultraschallbefund stattgefunden haette, wer weiss wie die Diagnose ausgefallen waere. Vielleicht haette ich dann jetzt schon keine Schilddruese mehr?

Ein bisschen schaeme ich mich dafuer, dass ich so sauer auf das kanadische Gesundheitssystem war. Na klar, wenn ein Verdacht besteht moechte man natuerlich alles sofort bestmoeglichst abgeklaert haben. Aber in diesem Fall brauchte mein Koerper wohl ein Anpassen der Lebensumstaende und ein wenig Zeit.

Wie sagt man so schoen: „Wer weiss, wozu es gut ist?“ Das werde ich in Zukunft versuchen, noch mehr zu beherzigen, wenn etwas in meinem Leben scheinbar schief laeuft. Mir gefaellt die Vorstellung, von den Wellen des Universums langsam in die fuer mich richtige Richtung gespuelt zu werden. Ich kann mit meinem Schlauchboot zwar hart gegen die Stroemung anpaddeln, aber letztendlich aendert es nicht viel. Ein paar kleinere Paddelschlaege, die den besten Kanal mit der Stroemung waehlen, darauf moechte ich mich konzentrieren. Meine Arbeitsstunden reduziert halten, damit ich nicht mehr als Vollzeit arbeite. Sport- und Putzroutinen befolgen, wenn es geht. Ausreichend Gemuese essen und selbst kochen. Kleine Abenteuer planen und sie selbst durchfuehren, unabhaengig davon ob sich eine Begleitung dazugesellt.

Die heutigen 40 Minuten Treppenauf- und abstieg lassen meine Gedanken fliegen. Zarte Ideen treffen auf nahrhaften Boden. Jetzt liegt es an mir, dranzubleiben.

Oftmals kommt es auf den Blickwinkel an, fluestert mir die Treppe zu.

Treppe, von unten.
Treppe, von oben.