Teslin

Flußtour 2019 – Tag 7

Ich wache auf und es ist Winter.

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Schnee bedeckt den Boden unseres Lagerplatzes. Durch das Morgengrauen wirkt alles blaeulich.

So sehr habe ich diesen Winter heibeigesehnt. Nach unserem verrueckten Sommer, den wir erst mit Bangen vor dem Wetter und dann mit pausenlosem Bauen verbracht haben schien der Winter meine einzige Hoffnung auf Ruhe und Erholung zu sein, auch wenn er zu der Zeit noch ein paar Monate in der Zukunft lag.

Anscheinend freut sich der Winter auch, mich zu sehen. Er umarmt mich herzlich.
Es ist kalt.

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Schneebedeckte Berge spiegeln sich im ruhigen Wasser.

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Zum Teil haengen die Wolken noch sehr tief in den Bergen.

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Das Ufer wird vom noch warmen Wasser noch zu sehr aufgewaermt. Hier bleibt nur wenig Schnee liegen.

Wir packen zusammen. Doch immer wieder muessen wir kurz am Feuer pausieren um unsere Finger wieder aufzuwaermen.

Unerwarteterweise holt Joe auf waehrend wir die letzten Dinge verstauen. Nachdem er ausgiebig von Arma begruesst wurde, waermt auch er seine Finger am Feuer. Er habe es sich ueberlegt und moechte doch zusammen mit uns weiterziehen. Auch die Fahrt nach Hause wird so fuer ihn stark vereinfacht, da er keinen anderen Fahrer organisieren muss, der ihn fuer 2,5 Stunden pro Weg plus Ein- und Ausladen abholen kommt. Wir hatten zwar angeboten, dass wir das trotzdem machen, aber so ist es natuerlich fuer alle einfacher.

Es ist ein langer Tag auf dem Fluss; das Wetter bedeckt aber trocken.
Und so kalt.

Wie in einem Schwarzweißfilm zieht die Landschaft an uns vorbei. Ein unbarmherziger Nordwind peitscht uns entgegen. Auf dem Fluss gibt es kein Entrinnen.

An einer Elchkuh mit Kalb ziehen wir vorbei. Halbherzig rufen wir nach einem maennlichen Gegenpart, das wir schiessen koennten. Doch gleichzeitig wollen wir weiter, immer weiter. Meine Hände und Füße wackeln noch, aber das Gefühl entweicht langsam.

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Arma friert mit uns mit. Ein trockenes Handtuch auf ihr bietet ein bisschen zusaetzlichen Schutz vor dem Wind.

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Der Winter ist bereits da, nur der Fluss muss es noch einsehen und erstarren.

Sollten wir lieber einen Tag laenger lagern und das Wetter abwarten? Doch der Nordwind verspricht kein besseres Wetter. Weiter, einfach weiter.

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Die Sonne steht schon tief am Horizont, als wir noch weiterziehen.

Zeh Kilometer vor dem eigentlich anvisierten Ziel beschliessen wir mit steifen Gliedern und hochgezogenen Schultern, für heute zu lagern. Joe und Tyrel schwingen die Kettensägen, ich mache Feuer mit mitgebrachtem Holz vom letzten Lager und bringe Sachen vom Boot. Dann bereite ich das Essen zu. Heute gibt es eine Reispfanne mit Jambalaya-Gewuerzmischung. Schmeckt so gut und wuerzig!

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Reis, Wuerstchenscheiben, Paprika und viel Gewuerz. Das Essen waermt!

Arma ist aufgedreht, sie war viel zu lange im Boot heute (100 km). Sie wird gefüttert, bespielt, beschmust und zu Bett gebracht.

Morgen wird ein langer Tag. Auch wir sehen zu, dass wir so bald wie moeglich in den Schlafsack schluepfen. Dreimal erinnere ich Tyrel, dass wir so frueh wie moeglich los muessen morgen. Keine Urlaubsroutine, kein ausgedehntes Fruehstueck. Einfach los. Sonst sind wir vor Mitternacht nicht zu Hause.

Tyrel dog

Tyrels Kopflampe und Armas Augen leuchten um die Wette vor dem Lagerfeuer.

Dreimal mache ich die Ansage, dreimal stimmt Tyrel zu. Das sollte reichen. Ich waessere ein letztes Mal fuer heute den Busch und krieche fast schnurrend in meinen fluffigen Schlafsack.

Die mit kochendem Wasser befüllte Wasserflasche, die ich vorhin schon hineingelegt habe, versüßt mir wie jeden Abend die Nachtruhe.

Flußtour 2019 – Tag 6

Genau wie die letzten Tage auch, wache ich heute wieder als erste auf.
Ich drehe mich noch einmal im Schlafsack herum und horche genau in mich herein. Bin ich ausgeschlafen? Ja.
Also stehe ich auf.

Ich ziehe mich an und versuche dabei so kuschlige Waerme wie moeglich aus dem Schlafsack in meine Kleidung zu retten. Das ist nur gar nicht so einfach bei ordentlichen Minusgraden.

Als Naechstes mache ich ein ordentliches Feuer. Zum einen kann ich daran meine Finger waermen, zum anderen essen Tyrel und ich auf dem Fluss gern ein warmes Fruehstueck. Das hilft uns, in die Gaenge zu kommen. Im Alltag fruehstuecke ich ueberhaupt nicht und esse erst gegen Mittag meine erste Mahlzeit. Aber hier brauche ich was im Bauch. Unser Mittagessen auf dem Fluss ist auch eher ein kleiner Snack.

Ich koche Wasser, bespasse Arma, erledige meine Morgentoilette.
Und warte.

Tyrel wacht schliesslich auf.
„Es ist 6 Uhr in der Früh! Warum sitzt du da rum in voller Montur?!“

Oh.
Das erklaert dann auch, warum die Daemmerung immer noch nicht eingesetzt hat.

Ungefaehr 20 min später sehe ich ein dass es doch ein wenig arg frueh ist um auf den Tagesanbruch zu warten, ziehe mich wieder aus und gehe schlafen. Kann sogar nochmal gut träumen.

Ein paar Stunden spaeter (oder auch am echten Tagesbeginn).
Wie immer zieht Joe als Erster los. Seine Morgenroutine ist so eingespielt, dass er mit ein paar Handgriffen eingepackt hat. Warmes Wasser fuer Kaffee und Fruehstueck hat er immer schon vom Vorabend bereit.

Wir lassen uns wieder Zeit (ist ja auch unser wohlverdienter Urlaub) und frühstücken. Mittlerweile ist es auch gar nicht mehr frostig, ein Südwind weht und die Sonne scheint.

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Ein sonniges Flussufer mit entspanntem Hund.

Doch am südlichen Horizont ziehen Wolken auf, die immer dunkler werden. Uns bleibt eh nichts anderes uebrig als zu packen und loszuziehen, wie jeden Morgen. Also tun wir genau das.

Nach einiger Zeit auf dem Wasser beginnt leichter Regen.
Der Regen wird stärker.
Wir legen am Ufer an,  um unsere Regensachen anzuziehen.
Doch der Regen hört nicht auf.

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Grau-nasse Aussichten, am Himmel ist kein blauer Fleck mehr auszumachen.

Schliesslich stossen wir auf Joe. Wir sagen ihm, dass wir lieber Strecke machen wollen um in circa zwei Tagen zu Hause zu sein.
Doch Joe moechte noch laenger auf dem Fluss bleiben.

Wir verabschieden uns vorsorglich. Arma versteht nicht, warum wir ihren liebsten Spielkameraden Joe zurücklassen. Mir fällt es auch schwer, aber schlimmer wäre es, das Fleisch verderben zu lassen. Und durch das wechselhafte Wetter wird dieser Fall immer wahrscheinlicher, je mehr Tage ins Land ziehen. Immerhin haben wir den Baeren an Tag 1 erlegt. Heute ist schon Tag 6.
Bärenfleisch muss man laut Gesetz im Gegensatz zu z.B. Elchfleisch zwar nicht verwerten, doch für uns ist es wertvoller als der Pelz.

Im Regen ziehen wir weiter.

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Am nassen Ufer sind Ueberbleibsel einer kleinen Holzhuette der Goldrauschzeit zu sehen.

Was habe ich früher eigentlich bei Regen gemacht, ueberlege ich mir.
Durchgefroren und nass war ich doch eher selten.

Ich habe bei Regenwetter viel Fernsehen geguckt.
Erst am elterlichen Kamin, dann mit Freunden und Bier, später mit Whiskey allein Zuhaus.

Manchmal war ich doch draussen. Mit Oma und Opa in der Laube. Oder ich habe mich beim Zelten im Garten vom Regenprasseln in den Schlaf singen lassen.

Kälte schält sich mittlerweile zwischen alle Lagen Kleidung.
Ich bekomme kalte Zähne und eine taube Nase.

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Die Regenwolken haengen tief in den Bergen und goennen uns eine kalte Dusche.

Der Regen verwandelt sich in Schneeregen während wir unser Lager aufschlagen. Heute spannen wir zwei Planen, die sich gegenueberstehen wie ein A, nur mit einer Luecke im Giebel. Die Luecke, damit wir ein Feuer machen koennen und uns keine Gedanken ueber Rauchabzug oder brennende Planen machen muessen. Die zweite Plane, damit wir dort unser ganzen Sachen auslegen und trocknen können.

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Tyrel waermt sich am Feuer zwischen unseren gespannten Planen.

Falls das Wetter nicht besser wird, bleiben wir doch einen Tag laenger hier.

Armas Appetit ist wiederhergestellt. Das hat nach dem Baerenlebervorfall nur fuenf Tage gedauert. Ich freue mich sehr.

Auch wir schlingen Unmengen von Spaghetti mit Speck und Möhren hinunter. Mein hungriges Gehirn hat mir dringend empfohlen, ein ganzes Kilo ungekochte Spaghetti zuzubereiten. Gekocht sieht das dann doch uebertrieben aus. Aber nach dem Abendessen zeichnet sich ab, das es aufgewaermt gerade so zum Fruehstueck reichen wird.

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Ich arbeite mich langsam durch den Haufen vor Fett triefenden Nudeln durch. Mein Koerper giert geradezu danach.

 

 

Nach getaner Arbeit und im molligen Schlafsack wirkt das Sauwetter gar nicht mehr so unwillkommen.

Schnee-Regen-Graupel singen mich leise auf der Plane knuspernd in den Schlaf, während ich mich der Stroemung des Universums einfach füge.

Flusstour 2019 – Tag 1 (Achtung, Bilder von toten Tieren!)

Der Wecker klingelt frueh.

Gestern noch mussten wir eine Einladung zum Lagerfeuer absagen weil wir bis Mitternacht mit Packen beschaeftigt waren. Den kleinen verbleibenden Rest wollten wir am Morgen packen; doch das dauert laenger als gedacht. Ein Blick auf die Uhr bringt Tyrel in Wallung – wir kommen zu spaet! Zum Glueck haben wir beide die gleiche Einstellung, es ist uns sehr unangenehm, wenn Leute auf uns warten muessen. Doch bevor mich Tyrel um ein kleines Fruehstueck bringt und saemtliche Verkehrsregeln bricht, sende ich einfach eine Nachricht, dass wir uns eine halbe Stunde verspaeten werden. Wir packen Huendin Arma ein und fahren los.

An der Tankstelle versorge ich mich mit Trockenfleisch und einem Keks. Mampfend betrachte ich waehrend der Fahrt die niedrig haengende Wolkendecke. Jedenfalls soweit es mir moeglich ist; mein Nacken tut immer noch reichlich weg und zwingt meinen Kopf in eine demuetige, zum Boden geneigte Haltung. Arma schmatzt laut und sabbert auf mich. Autofahren ist nicht ihrs.

Am Treffpunkt laden wir unser mitgebrachtes Gepaeck in den Truck eines Freundes, der uns zum Startpunkt bringen wird. Die Boote hat unser Freund zum Glueck schon gestern abgeholt – so konnten wir mit unserem Kombi die restliche Ausruestung fuer die Exkursion zum Treffpunkt transportieren.

Zur Einstiegsstelle in den Teslin River fahren wir im Auto mit unserem Freund Joe. Er beginnt zeitgleich mit uns eine Flusstour. Auf der Fahrt stelle ich alle wichtigen Fragen („Werden wir zusammen lagern?“ „Vielleicht.“ „Fahren wir zusammen zurueck?“ „Wird sich zeigen.“). Am Ziel angekommen, verbrate ich mein mitgebrachtes Geld im Motel. Ich fuelle Tyrels Thermoskanne mit Kaffee und meine mit Tee. Die dichter werdende Wolkendecke droht damit, dass wir uns spaeter nach ein wenig Waerme sehnen koennten. Als Mittagssnack wollte ich eigentlich Haehnchenfluegel mitbringen, aber die sind aus. Also gibt es sausage rolls, Bratwurstbraet im Blaetterteig. Von meinen letzten Dollars kaufe ich mir einen riesigen, bestimmt 20 cm Durchmesser Keks. Ich moechte weniger Zucker essen. Nicht aus Gewichtsgruenden, aber ich habe das Gefuehl mein Koerper rastet aus wenn ich Zucker zu mir nehme und manchmal fuehle ich mich direkt abhaengig. Und ich mag nicht gern abhaengig sein. Mit dem Weniger Zucker Essen fange ich aus Ermangelung an Versuchungen dann wahrscheinlich auf dem Fluss an. Nachdem ich den Moerderkeks gefuttert habe.

Unten am Fluss beginnt mittlerweile schon das Ausladen, Sortieren und Boote zusammenbauen. Zusammenbauen? Genau – wir muessen uns ja jedes Jahr steigern. 2017 ging es mit dem Kanu raus, 2018 mit unserem Aluboot… und 2019 einfach mit beiden Booten zusammengezurrt!

Eifrig helfe ich mit und fummle herum, bis ich die beste Befestigung zwischen Boot, Kantholz und Zurrgurt gefunden habe. Dabei beuge ich mich vorwaerts und Wasser laeuft in meinen rechten Gummistiefel.

Wow. Und das, bevor wir ueberhaupt losgefahren sind.

Ich sehe keinen Sinn darin, mein Missgeschick zu verkuenden. Die anderen wuerden nur wollen, dass ich meinen Innenstiefel und meine Socken wechsle. Und ich will einfach nur losfahren. Wortlos gehe ich ums Eck und wringe Innenstiefel und Socken aus. Als ich zurueckkomme, sind wir schon fast ablegebereit.

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Unser diesjaehriges Gefaehrt: Zwei Boote voller Ausruestung, verbunden mit Holz und Gurten.

Joe ist bereits vorgefahren und ausser Sicht, als wir ablegen. Unsere Freunde, die uns abgesetzt haben, warten am Ufer und winken. Warten daher um zu sehen, ob der Motor auch anspringt. Nach dem Disaster des letzten Jahres als wir Joes Abschleppdienst in Anspruch nehmen mussten, haben wir uns einen neuen Aussenbordmotor gekauft.

Der Motor ist sich der Verantwortung bewusst, die sein stolzer Preis mit sich brachte und springt sofort an. Waehrend er vor sich hinblubbert und warm wird, driften wir langsam flussabwaerts. Arma reckt den Hals zum Ufer und ueberlegt, ob sich ein Sprung noch lohnen wuerde. Dann legt Tyrel den Vorwaertsgang ein und wir beginnen die Reise.

Von Weitem sehe ich, wie die Trucks unserer Freunde abziehen. Dann befinden wir uns in der ersten Flussbiegung und sind ploetzlich einige Tagesreisen von der naechsten Ortschaft entfernt.

Der ganze Wahnsinn des Sommers rollt von meinen Schultern und gleitet lautlos ins kalte Wasser, das mich umgibt. Ich fuehle mich erleichtert und muede. Erleichtert, dass es diese Wildnis noch gibt. Diese alte Wasserstrasse, die uns erlaubt uns der Wildnis anzunaehern. Die vielen Seen und Baeche, die noch genuegend kristallklares Wasser ins Flussbett speisen. Die Abgeschiedenheit, die uns zwingt, im Hier und Jetzt zu sein, denken und handeln.

Solange ich spuere, dass es dies alles noch gibt, kann eigentlich gar nichts Schlimmes geschehen, denke ich mir und versuche eine angenehmere Position fuer meinen schmerzenden Nacken zu finden. Ich bin dieses Jahr wieder fuer die Navigation zustaendig und blaettere in der Flusskarte herum um mich zu orientieren. Ab und an verlaesst Arma ihren zugewiesenen Platz hinter mir und leistet mir Gesellschaft.

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Schaeferhundmixdame Arma und ich halten Ausschau im Boot.

Langsam geht es voran. Mit nur einem Boot waren wir auf unseren Probefahrten bedeutend schneller. Joe faehrt mit seinem schnittigen Frachtkanu uns flussaufwaerts entgegen. Wir verabreden uns zum gemeinsamen Lagern heute Abend und Joe zischt wieder flussabwaerts.

Regen setzt ein.

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Arma mach Platz auf dem Sperrholz zwischen den Booten.

Nach einiger Zeit sind wir reichlich durchnaesst, auch durch unsere Regenkleidung. Am verabredeten Lagerplatz sehen wir Joes Boot schon von Weitem. Zwischen den Bueschen steigt Rauch auf. Eine Plane ist fuer uns gespannt, die den Boden trocken haelt. Paradiesische Zustaende!

Jetzt bin ich vor allem hungrig und müde. Tyrel schlaegt unser erstes Lager unter der bereits gespannten Plane auf, ich mache mich daran, das Abendessen vorzubereiten. Die Butter fehlt. Ich grabe im Boot nach Butter.

Tyrel folgt mir zum Boot, leise aber bestimmt.

Im Fluesterton ruft er mir zu:
„luisa! luisa!!
da kommt ein grizzly auf uns zu – 200 meter!
hol dein gewehr!“

Tyrels Armbewegungen folgend schaue ich nach links und kneife die Augen zusammen. Tatsaechlich, ein Baer trottet auf uns zu.

„HOL DEIN GEWEHR!!!“

Ich lasse die Butter Butter sein, gehe schnellen Schrittes zu unserem Lager und greife mein Gewehr. Auch dieses Jahr vertraue ich auf meine Savage Axis II bolt action 30-06, die uns schon einige Male Jagdglueck beschert hat.

Waehrend ich das Magazin hineinfummele, sehe ich dass Joe schon sein Elefantengewehr gezueckt hat. Wir schleichen herunter zum Fluss, denn der Baer trottet auf der grasbewachsenen Boeschung entlang. Doch durch unsere Anwesenheit laesst er sich nicht stoeren und kommt langsam naeher. Ich muss dreimal laden, bis ich tatsaechlich Munition in die Patronenkammer geladen habe. Komisch.

„Komm, wir gehen in Deckung und lassen ihn naeher rankommen.“, raet Joe.
Und:
„Ich lasse dir den ersten Schuss.“

Joe kniet zwischen zwei Bueschen und zielt. Ich suche mir mein eigenes Gebuesch und lege mich auf den Bauch, in die prone position. Die gelb eingefaerbten Schutzkappen von meinem Sucher werfe ich einfach neben mich und ziele.

Und ziele.

Der Grizzly kommt langsam naeher. Jeder Schritt erschuettert die hellen Spitzen seines Fells, was seine Erscheinung noch dramatischer macht.
Er wird langsamer.
Noch ca. 100 Meter.

Er schlendert in Richtung Dickicht.
Wird er uns vom Busch aus einen Besuch abstatten wollen?

Er hat den Busch fast erreicht.

Ich schiesse.

 

Alle Geraeusche sind dumpf und treten nur langsam hinter meinem Tinnitus hervor.

Schnell lade ich nach und eile zusammen mit Joe zum Ufer, in Richtung Baer.

„Ich hab ihn….. ich hab ihn.“, sagt Joe und zielt im Knien auf den Baeren, der querschnittsgelaehmt versucht, auf seinen Vorderpfoten zu entkommen.

Emotionen verspuere ich gerade keine; nur die Verantwortung, das Baerenleid so schnell wie moeglich zu beenden.

Nach zwei weiteren Schuessen steigt Dampf aus einem Loch im Brustkorb des Baeren. Er liegt reglos im Gras.

Wir geben ihm ein paar Minuten und naehern uns – Waffen geladen und gezueckt. Joe piekst ihm mit einem Stock ins Auge. Der Lidschlussreflex ist einer der letzten Lebenszeichen.

Der Baer ist tot.

Statt Trauer und dem grossen Warum, was ich sonst haeufig nach der Jagd empfinde, bin ich erfuellt mit einer tiefen Dankbarkeit. Ein so umfassendes Gefuehl, dass es durch meine Fussohlen in den Boden auszustrahlen scheint und mich mit dem Leben verankert, erdet, traegt.

Ich weiss nicht, wie ich diese Dankbarkeit genuegend ausdruecken kann. Zum Glueck bin ich vorbereitet und hole einen Beutel Tabak aus dem Lager. Ich streue eine grosse Hand voller Tabak um den Baeren und sage aus vollem Herzen: „Danke!“
Danke, du starker, maechtiger Baer, dass du dich uns gegeben hast!

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Toter Baer und ich.

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Die Abschussstelle: Auf einer Uferwiese vor wolkenverhangenen Bergen.

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Ich hebe den Kopf des Baeren an.

Als ich das Geschlecht des Baeren bestimmen moechte, kratze ich erst meinen Kopf. Weder Vulva noch Hodensack sind zu erkennen. Aber die buschige Penisspitze sehe ich. Passt aber zusammen mit der geringen Koerpergroesse; dieser Baer ist ein junger, maennlicher Baer. Oft gehen Konflikte oft von dieser Gruppe aus. Sie sind sehr selbstbewusst, aber noch nicht erfahren genug um Situationen richtig einschaetzen zu koennen.

Ich frage Joe, wer von uns beiden seine Abschussgenehmigung (tag) an den Baeren heftet. Immerhin haben wir ihn zusammen erlegt.
„Es ist dein Baer.“, bestimmt Joe.
„Ok…“, ich entwerte mein tag und befestige klemme es dem Baeren zwischen die Zaehne.

Langsam merke ich meinen Hunger wieder. Wir haben einige Stunden Arbeit vor uns, da brauchen wir eine Staerkung. Zurueck am Boot finde ich schnell die Butter und bereite eine Pfanne zu aus gefrorenen Bratkartoffeln, Wuerstchen und Gemuese. Joe, Tyrel und Arma bauen einen Wetterschutz fuer den Baeren, es regnet immer noch. Arma zeigt keine Angst vor dem toten Baeren, wie es fuer Hunde ueblich ist. Eifrig leckt sie Baerenblut und wird ausgeschimpft, wenn sie ins Baerenfell beisst. Tyrel hat uebrigens auf die Schnelle keine Leine gefunden, als der Grizzly auftauchte und sich daher zusammen mit Arma im Hintergrund gehalten.

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Zwei abgespannte Planen sorgen fuer Regenschutz beim Zerteilen des Baers.

Als wir ein paar Happen essen, fragt mich Tyrel, ob und wieviel Hilfe ich haben moechte, den Baeren zu verarbeiten. Auf jeden Fall moechte ich alleine anfangen und wuerde Tyrel und Joe Bescheid sagen, wenn ich Hilfe haben moechte.

Also steige ich nach kurzem Essen alleine mit Gewehr und Messer zum Baerenzelt hinunter. Zuerst muss der Baer auf den Ruecken gedreht werden, damit ich mit dem Haeuten beginnen kann. Jede Bewegung des Oberkoerper laesst Luft und Blut in der Baerenlunge rasseln und ich spuere die Vibrationen, wenn der tote Baer unter mir knurrt und stoehnt.

Meine Haende sind blutverschmiert, ich bin klitschnass und muede und sehe daher davon ab, Bilder zu machen.

Den ersten Schnitt setze ich direkt unterhalb des Brustbeines und ziehe eine moeglichst gerade Linie bis zum Anus. Auf dem Weg finde ich auch den Penis und den Hodensack. Die Hoden selbst waren noch nicht hineingewandert. Ich schneide um den Anus herum und versuche eine geeignete Linie an der Innenseite der Hinterlaeufe entlang zu finden. Bis zum Knie und zum Knoechelgelenk. Dann gehe ich wieder zum Brustbein und schneide gerade nach oben, bis zu den oberen Halswirbeln. Wieder suche ich eine geeignete Stelle, um die Innenseiten der Vorderlaeufe einzuschneiden.

Da meldet sich mein Nacken heftigst.

Stimmt, der tat mir ja weh!
Wie hab ich es eigentlich geschafft, mich vorhin rambomaessig auf den Boden zu werfen ohne einen Hauch von Unwohlsein?!

Joe, Arma und Tyrel kommen und begutachten meinen Fortschritt. Die Nacht rueckt immer naeher und dankbar nehme ich Hilfe an. Zu dritt haeuten wir den Baeren und trennen Vorder- und Hinterlaeufe vom Rumpf ab. Dann erst weiden wir aus. Erstens kann das waermste Fleisch (um die Hueftpfannen herum) so schon auskuehlen. Und zweitens ist das meiste Fleisch schon aus dem Weg, falls beim Ausweiden z.B. Darminhalt oder Galle auslaeuft.

Mittlerweile bin ich wirklich muede, habe verdammt starke Nackenschmerzen und bemerke, dass mein rechter Fuss immernoch nass ist und bei jedem Schritt im Stiefel schmatzt und schwappt. Joe und Tyrel erklaeren und halten den Baeren geduldig, sodass ich trotzdem noch meine Arbeit beenden kann. Nur als wir zu dem Schritt kommen, das Schambein mit der Axt zu durchtrennen, bitte ich Tyrel, mir auszuhelfen. Einen Axtunfall muss ich durch meinen Zustand nicht hinaufbeschwoeren.

Schliesslich haben wir fuenf Beutel Fleisch und einen Pelz mit Schaedel und Pfoten. Schoene Krallen hat der Baer. Joe beaeugt die Krallen und bemerkt: „Vielleicht schuldest du mir eine der Krallen…“ „Klar!“, stimme ich zu. Die Haelfte des Fleisches bekommt er auch. Was immer wir auf diesem Trip zusammen erjagen, wollen wir teilen.

In den Eingeweiden greift Joe nach der Leber und der Blase, die an der Leber haengt. „Das ist die Gallenblase. In der chinesischen Medizin werden ihr sehr heilende Kraefte zugeschrieben. Die Chinesen in Vancouver wuerden sie dir fuer viel Geld aus den Haenden reissen. Getrocknet zermahlen sie die Galle zu Pulver und nehmen das in Kapselform ein. Aber verkaufen darfst du sie nicht. Du kannst dir ueberlegen, was du damit machst.“

Nachdem ich mich und meine Regenkleidung notduerftig im kalten Flusswasser gewaschen habe, bringe ich mein mittlerweile versandetes Gewehr und die Messer zum Lagerplatz. Waehrend ich die ersten Schnitte gemacht habe, hat Tyrel schon unsere Feldbetten und Schlafsaecke bettfertig bereitet. Was fuer ein himmlischer Anblick!

Doch zunaechst muss ich noch einmal zum Boot gehen. Endlich muss mein rechter Fuss trockengelegt werden, bevor ich noch trench foot (Schuetzengrabenfuss / Fussbrand) bekomme. Am Boot treffe ich einen fassungslosen Tyrel. Er war damit beschaeftigt, den Baerenpelz auszuwaschen und so auf das Boot zu drapieren, dass der Regen die Hautseite weiter auswaescht. Dann hat er sich gefragt wo Arma ist, die vor ca. zwei Minuten noch um ihn herum gelaufen ist. Arma, bzw. ein leuchtendes Augenpaar in schwarzer Nacht kam von der Abschussstelle auf ihn zugelaufen. Und mysterioeserweise hatte Arma einen vollen Bauch, obwohl es noch kein Abendbrot fuer sie gab…

Tyrel ging also mit ihr zurueck um zu schauen, was sie gefressen hat. Zum Glueck hat sie nicht versucht, sich durch die Fleischsaecke zu nagen! Aber ein riesiges Stueck Grizzlyleber fehlt. Oh, Arma…

Auf das gewoehnliche Abendessen verzichtet Arma. Ich wuerde ja den Kopf schuetteln, aber ich kann meinen Nacken nicht bewegen und bin nicht sicher, wie ich in den Schlafsack kriechen kann. Irgendwie geht es dann doch. Nachdem der Fuss getrocknet ist. Und ich noch einen grossen Teller Bratkartoffelpfanne hatte.

Das Schlusswort an diesem Abend geht an Joe, als ich stoehnend auf dem Feldbett liege.

„Wer kam eigentlich auf die Idee, in die Wildnis zu gurken und wilde Tiere zu toeten?!“
„Du stellst die richtigen Fragen…“
„Heute gebe ich dir die Schuld!“

„Ich nehme alles auf mich.“, entgegne ich, waehrend ich versuche meinen Nacken fuer die Nacht zu stabilisieren.

Ein bisschen zweifle ich schon an meinem Verstand. Koennte ich doch jetzt auch wie meine Arbeitskollegen meinen Urlaub verbringen und in Mexico oder in Hawaii am Strand liegen. Aber ich weiss, dass dieser Gedanke vorueberziehen wird und etwas Positives bleibt. Das Ergebnis von uebernommener Verantwortung, harter Arbeit, starkem Willen und Abenteuerlust:

Viele zukuenftige Mahlzeiten mit Fleisch, das mich ohne Reue oder Zweifel ueber dessen Herkunft naehren wird.
Geteilte Abenteuergeschichten, vor dem Lagerfeuer unter dem praechtigen Sternenhimmel des Yukon.
Erinnerungen, an das ueberwaeltigende Gefuehl der Dankbarkeit.
An den Grizzlybaeren, der sein Leben fuer uns gab.

Flusstrip 2018: Tag 4

Heute morgen zeigt das Thermometer nur -8 Grad an. Durch eine frische Brise fuehlt es sich jedoch um einiges kaelter an. Ich misstraue dem Messergebnis und stelle das Thermometer auf einen etwas abgelegenen Baumstumpf, auf den die Waerme des Feuers mit Sicherheit nicht strahlt. Das hat wohl auch geklappt. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, da ich das Thermometer nicht wiedergefunden habe. Es wird jetzt wohl den ganzen Winter fleissig messen und Ende Juni 2019 die ersten Touristen verwundern.

Dann wieder packen, fruehstuecken, los. Nicht nur ein Thermometer lassen wir zurueck, sondern auch wieder Berge an Feuerholz. Man weiss nie, wer als naechstes an diesen Platz kommen wird; ob er oder sie vielleicht durchnaesst oder kalt ist. Fest steht, dass die wenigsten Flussbesucher eine Kettensaege im Gepaeck haben.

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Mit dem Holzhaufen, den wir zuruecklassen, koennen mehrere Lagerfeuer entzuendet werden.

Auf dem Fluss gilt es nach Tieren Ausschau zu halten. Sich anhand der Karte zu orientieren und Notizen zu machen. Die Umgebung einzusaugen und versuchen so viel wie moeglich zu speichern von der Gelassenheit. Was hier passiert, passiert einfach. Und dann wird besonnen darauf reagiert. Ich merke, wie meine Bewegungen gleichfoermiger geworden sind. Die Schritte sind langsamer, aber sicherer.

Es gibt hier keine Termine, keine Hast. Denn durch Eile geschehen Fehler, die man sich hier nicht leisten kann.

Wir haben schon drei noch warme Feuerstellen in Ufernaehe schwelen gesehen. Weitere Jaeger muessen uns ein bisschen voraus sein. Ansonsten seit zwei Tagen keinen anderen Menschen gesehen. Wenn ein Krieg, eine Wirtschaftskrise oder die Pest ausgebrochen ist, wir wissen es nicht. Fuer uns zaehlen andere Dinge. Wie frisch sind die Schwarzbaerenspuren am Ufer? Sind die Wolken am Horizont so leicht wie sie aussehen oder bringen sie Schnee? Sind die Wellen vor uns aufgebracht durch grosse Felsen im Flussbett oder ist das Wasser dort einfach seichter?

Waehrend ich nach Bewegungen Ausschau halte, verfalle ich in suesse Tagtraeume. Ich betrachte mein Leben moeglichst neutral und frage mich, was ich noch verbessern kann. Eine Sache faellt mir ein, ich sollte mich mehr dehnen. Erste Erfolge konnte ich bereits erzielen durch regelmaessige Dehnuebungen, doch dann fing ich mit dem Laufen an und alles wurde wieder unbeweglicher. Voll egal, dann fang ich einfach nochmal von vorne an.

Am Ende des Tages erreichen wir Hootalinqua, wo die Fluesse Yukon und Teslin ineinanderfliessen. Das transparente Wasser des Teslin weicht dem tuerkis-flaschengruen des Yukon und ich fuehle mich durch diese besondere Farbe schon sehr heimisch. Zur Goldrauschzeit vor einem guten Jahrhundert war hier ein wichtiger Handelsstuetzpunkt und eine Polizeistation. Goldgraeber kamen von weit her, um ihre Claims zu registrieren und Trapper tauschten Felle gegen Gebrauchsgegenstaende. Da in heutiger Zeit die Stelle sehr beliebt zum Lagern ist, gibt es so gut wie kein Feuerholz mehr in der Umgebung. Wir haben bei der letzten Flussbiegung Halt gemacht und uns genuegend Holz fuer die Nacht und den Morgen mitgebracht.

Zum Abendessen gibt uns Joe jedem ein Grizzly Chilli Wuerstchen ab. Zum Nachtisch gibt es noch eine Scheibe Christstollen. Das Leben ist gut. 🙂

Flusstrip 2018: Tag 3

In der Wildnis scheine ich einen helleren Schlaf zu haben. Ich wache auf, wenn ich das Feuer nicht mehr knistern hoere und lege neues Holz nach. Dann kann ich kurz nicht schlafen, weil das Feuer zu laut knistert und es zu hell geworden ist, da der Schein des Feuers die Plane ueber uns wie eine Kinoleinwand beleuchtet. Das ganze wiederholt sich etwa drei Mal, bis gegen 7 Uhr morgens Aufstehstimmung verbreitet wird und ich mich aus dem Schlafsack schaele.

Auch heute Morgen zeigt das Thermometer -12 Grad an. Schnell schluepfe ich in meine dicke Kleidung und bewege mich, um warm zu werden. Wasser muss geholt werden, sowie das Fruehstueck, was mit den anderen Lebensmitteln nachts in einem Plastikcontainer beim Boot bleibt. Vor Baerenbesuch graut es meinen Mitstreitern dabei nicht so sehr wie vor Maeusen.

Nachdem unsere Gaumen gestern durch die Elchwuerstchen und Kaesegnocci so verwoehnt wurden, gibt es heute morgen wieder ein Fertiggericht von Knorr. Joe gebe ich eine Packung hausgemachte Nussriegel mit fuer einen Snack zwischendurch auf dem Boot. Tyrel und ich beschliessen, so wenig wie moeglich selbst von den Riegeln zu essen, damit wir Joe auch eine Freude machen koennen, wo er uns doch aus der Patsche hilft und dabei noch so gut verkoestigt.

Heute Morgen brauchen wir laenger, bis wir aufbrechen. Tyrel hat ein paar duenne Baeumchen gefaellt und zusammen mit Joe wird beraten, wie die Boote nun am besten zusammengebunden werden koennen, damit alles gut navigierbar ist und das Gummiboot keinen Schaden nimmt. Ich nutze die Zeit um mich warmzuhalten, packe unser Camp zusammen und bringe die Kisten herunter in Richtung Boot. Mit der Kamera halte ich den Sonnenaufgang fest.

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Die Sonne lugt hinter den oestlichen Bergen hervor, waehrend sich noch Nebelschwaden auf dem Wasser tummeln.

Joe und Tyrel zurren derweil fleissig an den Booten herum. Zugseile, Bungeeseile und Ratschen ist etwas, was man in Unmengen mit auf einen Trip in die Wildnis nimmt und in allen moeglichen Situationen darueber gluecklich ist.

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Die Boote sind mit zwei duennen Baeumen parallel miteinander verbunden und werden wieder mit der Ausruestung eingeraeumt.

Schliesslich treiben wir auf dem Fluss. Langsam geht es voran, bei engen Kurven paddeln wir zusaetzlich, damit wir nicht auf eine Kiesbank auflaufen. Ein paar Flusswindungen weiter begruesst uns ein maechtiges Floss!

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Bestimmt 15 Meter lang ist das Floss, das mit Annehmlichkeiten wie Autositzen und einer Feuerstelle ausgeruestet ist.

Wir gehen an Land und machen uns ein Bild von der Lage. Unglaublich ausgeruestet waren die Flossfahrer unterwegs. Eine Dusche ist an Bord, eine Betonplatte mit Feuerstelle, eine Kueche, Schlafplaetze, Kisten voller noch haltbarer Lebensmittel, Werkzeuge und eine Kiste voller Naegel. Eine Landungsbruecke fuehrt zum Ufer, dort hat jemand Unmengen von Feuerholz gesaegt und ein provisorisches Klo ausgehoben und zum Teil mit Klopapier und Faekalien gefuellt.

Gab es Probleme mit dem Floss, sodass sie nicht weiter konnten? Sind sie auf Grund gelaufen und haben das Floss dann nicht mehr zurueck ins Wasser bekommen? Haben sie aus anderen Gruenden die Expedition abbrechen muessen und das Boot zurueckgelassen um im naechsten Sommer zurueckzukommen?

Wir wissen es nicht und werden es wahrscheinlich nicht erfahren. Es bleibt nur abzuwarten, ob das Floss im naechsten Jahr noch vorhanden ist oder vom losbrechenden Eis im Fruehling zermalmt oder losgerissen wurde.

Wir lassen den Ort ruhen und ziehen weiter.

Nach einer Flussbiegung ruft Tyrel leise „es hat ein geweih…“

!!! EIn junger Elchbulle sonnt sich am Ufer und schaut uns fragend an!!! So unauffaellig, wie es nun mal geht, greife ich nach meinem Gewehr, lade Munition durch, nehme die Schutzkappen des Suchers ab und lege an. „Schiess nicht, er rennt doch schon weg!“ Und auch ich sehe nur noch den Elchgalopp… Verdammt! Joe musste den Motor bedienen, vor uns im Fluss befanden sich Kiesbaenke, Steine und Stromschnellen. Und Tyrel hat gepaddelt, um Joe zu unterstuetzen. Naja, es ist gut, dass wir wenigstens einen Elch gesehen haben. Schnell geht es zur Stelle, die der Elch zur Siesta ausgewaehlt hatte. Joe streift gegen den Uhrzeigersinn um die kleine Insel, Tyrel und ich im Uhrzeigersinn. Im Eis um die Insel entdecken wir schliesslich, wo der Elch vom Festland angereist und auch wieder abgereist ist. Schade, er ist weg.

Wir tuckern zum anderen Ufer und machen Mittag. Vielleicht kommt der Elch ja nochmal wieder. Tyrel und ich essen ein paar staubige Cracker, waehrend die Schatten der Baeume ueber uns ziehen und die Mittagpause unangenehm machen. Es ist Zeit, weiterzuziehen.

Tyrel fallen immer wieder die Augen zu. Hmm, habe nicht ich das Feuer am Leben gehalten heute Nacht und sollte jetzt muede sein? Aber wie schoen, dass seine Erkaeltung so gut ausgeheilt ist, davon ist gar nichts mehr zu spueren.

Joe reicht uns ein Stueck Christstollen herueber, wir schneiden zwei kleine Scheiben ab. In meinem Mund erklingt eine Symphonie. Wie wundervoll es schmeckt! Ist es, weil ich gerne Stollen mag, weil ich hungrig bin, weil ich mich hier von Fertiggerichten ernaehre oder liegt es an der frischen Luft? Spielt ueberhaupt keine Rolle. Mit geht es einfach prima und ich bin da, wo ich gerade sein soll.

Waehrend wir alle Ausschau halten nach einem Cousin des fluechtenden Elchbullen, mache ich ein paar Bilder von anderen Tieren.

Heute passiert nicht mehr viel. Wir halten, errichten das Lager, machen ein Feuer.

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Das Feuer waermt einen Topf mit Wasser auf einem Gitterrost. Daneben wurden schon Tyrels und meine Plastikschuessel mit Fertignudeln und heissem Wasser befuellt.

„Wollen wir naechstes Jahr Urlaub im Warmen machen?“, fragt Tyrel. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Jagdtrip dafuer ausfallen wird 2019. Aber warm klingt eigentlich ganz verlockend zur Abwechslung. Tyrel moechte gern Alligatoren sehen. Die gibts doch in Louisiana, da ist das Essen so scharf und lecker, das gefaellt mir wiederum!

Wir wuenschen uns eine gute Nacht und warme Traeume.

Flusstrip 2018: Tag 2

Die erste Nacht ausserhalb der Zivilisation. Unbedingt wollte ich Sterne gucken, der Himmel war nicht bewoelkt. Das fuehrte allerdings auch dazu, dass keine waermende Wolkendecke vorhanden war. Somit war meine Brille bald voller Kondenswasser vom Atmen, sowie Eiszapfen an den Fusseln meiner Muetze.

Geschlafen habe ich trotzdem gut. Ich wurde nur zweimal wach, weil Maeuse ueber unsere Plane gelaufen sind. Das Geraeusch bin ich zum Glueck nicht gewohnt von zu Hause.

Aus dem Schlafsack geschaelt ueberpruefe ich als erstes das Thermometer. Wie kalt ist dieser frische Morgen?

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Minus 12 Grad zeigt das Thermometer am fruehen Morgen.

Joe ist schon vor uns wach geworden und hat ein Feuer gemacht. Das restliche Wasser von gestern in unseren Toepfen ist natuerlich komplett gefroren und braucht einige Zeit, bis es kocht. Inzwischen stopfen wir Schlafsaecke und Zubehoer wieder in Stausaecke und Kisten. Wenn wir in Bewegung bleiben, wird uns auch schoen warm.

Zum Fruehstueck goenne ich mir Kaesenudeln. In diesem Jahr habe ich ja eine groessere Auswahl mitgenommen, was das Essen anbelangt. Da habe ich wenig Bedenken, dass mir die Nudeln morgen schon zum Hals raushaengen werden.

Nach dem Fruehstueck tragen wir Ausruestung herunter zum Fluss, um das Boot zu beladen. Eine wunderschoene Morgenstimmung erwartet mich.

Ein schwarzer Fleck ist irgendwie in meine Kamera gekommen und bereichert jetzt meine Bilder. Mal sehen, ob ich das zu Hause irgendwie beheben kann.

Als der Nebel sich etwas lichtet, fahren wir los mit dem Boot. Joe laesst uns einen guten Vorsprung. Falls der Motor aufgeben sollte, sagt er. Gut mitgedacht, wir hoffen aber, aus eigener Kraft zum Ziel zu kommen.

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Die Sonne scheint und vertreibt langsam den Nebel.

Der Motor merkt anscheinend, dass ihm nicht ganz vertraut wird. Eine Stunde lang treibt er das Boot zwar an, macht dabei aber merkwuerdig unbestaendige Geraeusche. Ploetzlich aber laeuft er astrein. Wir freuen uns, wahrscheinlich hat sich etwas geloest, freigebrannt oder sonst was. Dann nichts mehr. „Jetzt ist das Benzin alle.“ stellt Tyrel fest. Doch Benzin und Oel ist ausreichend vorhanden. Der Motor springt nicht wieder an, wir paddeln zum Ufer. Tyrel moechte den Vergaser reinigen, das hat schon einmal geholfen.

Bald schon schliesst Joe zu uns auf. Zusammen entfache ich mit ihm ein Feuer, damit Tyrel seine Haende waermen kann waehrend der Reparatur. Es ist schliesslich unter Null und ein bisschen windig.

Nach der Saeuberung des Vergasers machen wir uns wieder auf den Weg. Joe wartet lieber am Feuer, jetzt erst recht. Der Motor laeuft prima, wir hoffen, dass es jetzt auch so weiterlaeuft.

Doch die Hoffnung waehrt nur ungefaehr eine Stunde. Dann proeppelt es wieder hinter dem Boot. Bis das Geraeusch ganz aufhoert. Tyrel gleicht die Stille mit wilden Fluechen aus. Ich bin ganz gelassen. Wir sind hier draussen, wir haben einen Freund hinter uns auf dem Fluss, es koennte doch echt schlimmer sein. Wir holen unsere Paddel raus und verbrennen reichlich Kalorien, waehrend wir unseren naechsten Lagerplatz anpeilen. Joe laesst sich nicht blicken, vielleicht hat er heute eher sein Lager aufgeschlangen oder gar Jagderfolg gehabt.

Einige Zeit spaeter hoeren wir leises Motorgeraeusch hinter uns und koennen dazu einen orangenen Fleck erkennen. Das muss Joe sein. Wir halten den Daumen aus dem Boot, wollen jetzt gern per Anhalter fahren. Natuerlich hilft er uns gern aus der Patsche. Wir werfen ihm unser Tau zu und er schleppt uns fuer die restliche Stunde des Tages ab.

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Joe’s 5 PS Motor zieht jetzt sein Gummiboot und unser Aluminiumboot.

Ein bisschen albern komme ich mir schon vor, so abgeschleppt zu werden. Letztes Jahr haben wir doch den ganzen Fluss nur mit Muskelkraft bepaddelt. Allerdings war das im Kanu auch viel einfacher als im Aluboot. Tyrel kommt sich glaube ich noch dooefer vor und schimpft. Da gebe ich mich lieber meinen Tagtraeumereien hin, heute denke ich schon den ganzen Tag an Suppe. Wie lecker, wie waermend und schmackhaft, vor allem im Winter. Zu Hause werde ich viel schoene Suppen kochen, das habe ich mir fest vorgenommen. Habt ihr ein tolles Rezept fuer mich? 🙂

Heute kommen wir alle zusammen am Lagerplatz an, daher sichern wir uns ein Plaetzchen am Feuer. Eine Plane wird schraeg gespannt um Niederschlag abzuhalten und eventuell sogar etwas Waerme zu fangen in den Nacht. Vielleicht ist meine Nase dann nicht so kalt, wenn ich morgen frueh aufwache.

Von unseren Essensvorraeten ist Joe alles andere als begeistert – er hat schliesslich Koch gelernt und spaeter 20 Sommer lang Kanutouren im Yukon gefuehrt und bekocht. Wir haben vor allem Fertigzeug mit, bis auf die selbstgemachten Muesliriegel. Zur Ehrenrettung habe ich ihm heute morgen davon schon eine Ration mitgegeben. Doch er behauptet, da gabs ein grosses Problem mit den Riegeln: Sie waren zu schnell alle! Schnell fasse ich den Entschluss, auf dieser Reise vor allem Joe mit den Riegeln zu versorgen. Als Dankeschoen fuer die viele Hilfe. Doch auch wir muessen heute nicht darben. Joe laedt uns zum Essen ein, er bringt immer viel zu viel mit, behauptet er. Heute gibt es also ganz dekadent in Kaese erstickte Gnocci zu Elchwuerstchen.

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Elchwuerstchen, Gnocci, Kaese und Pfeffer – die Zutaten zur Glueckseligkeit an diesem Tag.

Wie meine Freundin Anna jetzt sagen wuerde: Mir ist, als ob mir Englein in den Mund pinkeln! Wie kann ich denn am zweiten Tag der Tour schon so voller Glueck sein ob der unerwarteten Leckerei? Vielleicht, weil ich Fertiggerichte nicht gewohnt bin. Oder, weil man ja eigentlich immer die Moeglichkeit hat, sich was Leckeres zu essen zu beschaffen. Im schlimmsten Fall muss man ein paar Stunden warten. Doch hier gibt es diese Moeglichkeit nicht. Alles, was uns zur Verfuegung steht, ist in unserem Boot.

Heute bin ich sehr dankbar. Ich hoffe, dass ich diese eigentlich kleinen Umstaende in meinem Alltag in Zukunft auch zu wuerdigen weiss und freue mich schon auf die naechsten Tage. 🙂

 

Flusstrip 2018: Mehr Vorbereitungen und Tag 1

Der letzte Beitrag mit etwas chaotischen Vorbereitungen endete mit dem Dienstag vor der Abreise. Es folgen die weiteren Vorbereitungen bis zum Abreisetag, sowie der erste Tag auf dem Fluss.

Vorbereitungen:

Mittwoch: Wir haben Besuch und essen Baerenbraten; Tyrel repariert hustend den Motor und ist sich sicher, dass er jetzt gut funktioniert.

Donnerstag: Tyrel wird kraenker. Ich verweigere, den Motor auf dem See zu testen und koche stattdessen ueber Nacht im Slow Cooker eine Huehnersuppe.

Freitag: Nach einer nahezu schlaflosen Nacht fiebert Tyrel und ist elend. Ich floesse ihm Suppe und Tee ein.

Samstag: Irgendwann abends mobilisiert Tyrel ausreichend Kraefte, sodass wir unseren Truck zum Zielort Carmacks fahren koennen. Auf der Rueckfahrt verlangt er erst nach Orangensaft und schlaeft dann fuer den Rest. Eigentlich wollten wir heute abend schon zum Startpunkt fahren und dort eine Nacht schlafen, aber das koennen wir knicken.

Sonntag: Tyrel fiebert nicht mehr aber hustet ganz schlimm, sobald er sich bewegt. Wir beschliessen, heute noch auszuruhen. Auf dem Fluss gibt es naemlich keine Hilfe, falls irgendwas schlimmer wird. Das Auto ist gepackt und wartet auf Tyrels Genesung. Nachmittags probieren wir dann doch den Motor auf dem See aus, klappt super! 🙂

Tag 1 auf dem Fluss:

Eigentlich wollten wir um 6 Uhr morgens losfahren, Tyrel hat einen dementsprechenden, naechtllichen Wecker gestellt. Als dieser jedoch klingelt, wird er ausgestellt ohne dass Tyrel sich zum Aufstehen bewegen kann. Ich protestiere jedenfalls nicht, predige ich ihm doch immer noch, dass er Ruhe braucht und sich kaum welche goennt.

Ca. 2,5 Stunden spaeter als geplant verlassen wir schliesslich das Haus. Das Auto ist ja schon gepackt, wir praktisch! Leider konnten wir unsere Leinenueberzuege fuer unsere Schlafsaecke nicht finden. Die sind aber wichtig, falls wir in der Naehe eines Feuers schlafen, denn ansonsten sind die teuren Schlafsaecke durch Funkenflug schnell ruiniert. Ich ueberzeuge Tyrel, in der Stadt Leinenstoff zu kaufen, damit ich die Ueberzuege auf der Autofahrt zusammennaehen kann. Er ist nicht ueberzeugt, dass das klappen wird, kauft den Stoff aber trotzdem.

Bei mir stellt sich eine Gier nach Burgern ein. Ich halte es fuer wichtig, dass eventuelle Gelueste noch vor einem mehrtaegigen Wildnistrip gestillt werden. Tut man das nicht, kann das Verlangen unertraeglich werden. Jedenfalls, wenn man so gerne isst wie ich. Tyrel ist einigermassen ueberzeugt von meinen Argumenten und ich senke meine Zaehne noch ein letztes Mal in einen Burger ohne Broetchen aber dafuer mit Salat umwickelt. Das kann man hier ohne Aufpreis dazubestellen, Burgerbroetchen fand ich schon immer zu pappig und suess.

Eine grosse Pulle Hustensaft wandert noch ins Auto, sowie zwei Karibu (Rentier) Abschussgenehmigungen. Unser Freund Joe kam erst von seiner Flusstour zurueck und hat gesehen, dass jemand ein Karibu geschossen hat. Fuer den Fall, dass statt Elch ein Karibu unsere Schusslinie kreuzt, wollen wir natuerlich vorbereitet sein.

Schliesslich geht es auf die Fahrt nach Johnson’s Crossing, unseren Startpunkt und Einstieg in den Teslin River. Waehrend ich fleissig Leinenbezuege naehe, fragt Tyrel, ob ich das nicht lieber spaeter im Camp machen moechte. Noe, sage ich, und naehe froehlich weiter. So lange brauche ich auch gar nicht, als ich fertig bin muessen wir noch ein ganzes Stueckchen fahren. Ungefaehr 30 Minuten vor unserem Zielort kommt uns James entgegengefahren in Joes Truck samt Anhaenger. Das heisst Joe hat sich wahrscheinlich gerade von James absetzen lassen und ist auf dem Fluss! Mal sehen, ob wir ihn treffen. Kommt auf seine und unsere Strategie an, die meisten wollen am ersten Tag ordentlich Kilometer machen, um alle Tages- und Wochenendjaeger hinter sich zu lassen, die zum Ausgangspunkt zurueckkehren.

Zunaechst muessen wir bei dem Motel Bescheid sagen, dass wir unseren Wagen dort fuer ungefaehr eine Woche parken wollen. An der Rezeption lachen Tyrel dann frische Haehnchenfluegel und mich ein riesiger Keks mit Schokostueckchen an, die nehmen wir auch noch mit zur Staerkung bevor wir das Boot zusammenpuzzeln. Obwohl es Montagnachmittag ist, werden etliche Boote ins Wasser gelassen. An der Stelle des Flusses gibt es eine Betonrampe, mit der man seinen Bootsanhaenger direkt ins Wasser fahren kann, um da das Boot ins Wasser zu lassen. Wir mit unserem vollgepackten Kombi, auf dessen blosses Dach ein Aluboot geschnallt wurde, sind hier irgendwie Exoten.

Eine gute Stunde dauert es, bis wir alles ins Boot gestopft haben. Das System entsteht dabei meist in Tyrels Kopf und ich gebe ihm solange verschiedene Kisten und Utensilien, bis er zufrieden ist. Und dann ist es auch schon Zeit um die Annehmlichkeiten der Zivilisation hinter sich zu lassen.

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Ich stehe an unserem Startpunkt vor dem vollgepackten Boot und lasse die imaginaeren Muskeln spielen.

Meine Haare habe ich mir dieses Jahr in viele kleine Zoepfe geflochten. Letztes Jahr hatte ich sie in zwei losen Zoepfen, was mir am Ende eine grosse Filzplatte auf dem Kopf bescherte.

Dieses Jahr fahren wir nicht alleine, wir haben eine Galleonsfigur am Bug angebracht.

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Die Pluesch-Katze Pusheen begleitet uns samt Regenbogen-Maehne und Einhorn.

Tyrel und ich hieven das Boot ins Wasser. Ich setze mich hinein, Tyrel schiebt es noch weiter ins Wasser und kommt nach. Und wir sind unterwegs.

Ich benutze mein Paddel und navigiere uns stormabwaerts und weg vom Ufer. Tyrel laesst den Motor ins Wasser und startet ihn. Wir lassen den Motor warmlaufen, sicher ist sicher und heute ist ein kuehler Tag. Dann legt Tyrel den Gang ein und wir tuckern ganz langsam den Fluss herunter.

Im Kanu letztes Jahr sassen wir hintereinander, dieses Jahr koennen wir nebeneinander sitzen, das ist schoen. Tyrel drueckt mir die Flusskarte in die Hand. „Du navigierst uns dieses Jahr. Zweites Mal auf dem Fluss, mehr Verantwortung!“

„Okay… Immer flussabwarts, bis ich Stopp rufe.“ navigiere ich vor mich hin. Wozu braucht man eigentlich ne Karte, man weiss doch wo der Fluss langfliesst. „Weisst du, wo wir auf der Karte sind?“ fragt Tyrel nach ein paar Minuten. „Hmmm, entweder in dieser oder dieser Biegung…“ „Es ist aber wichtig zu wissen, wo wir sind. Auf der Karte sind flache Stellen und Steine im Fluss eingezeichnet, die einen in ernste Schwierigkeiten bringen koennen. Ausserdem sind die Lagerplaetze verzeichnet, abends sollten wir nicht an unserem naechsten Lagerplatz vorbeifahren. Der naechste koennte weit weg sein.“ erklaert Tyrel.

Fortan suche ich die Umgebung nach Steilhaengen, Felspfeilern und Prallhaengen ab und vergleiche mit der Karte, die sich in einem grossen Gefrierbeutel befindet. Zusaetzlich halte ich natuerlich nach Tieren Ausschau, ueberpruefe die Wassertiefe und schaue, ob vor uns Gefahren im Wasser lauern koennten.

Nach ein paar Stunden auf dem Wasser finden wir beide, dass es Zeit fuer die erste Pause ist. Wir steuern eine Insel an, die wir letztes Jahr ausgiebig erkundet haben. Ich finde es ist Zeit fuer eine Pause, weil ich so endlich den Mittagsproviant probieren kann. Zuhause habe ich backblechweise fleissig gebacken: Zwei Tassen Mandeln, eine Tasse Erdnuesse, eine Tasse Puffreis, einen halben Teeloeffel Salz und eine halbe Tasse Ahornsirup vermengen, auf ein mit Backpapier ausgelegtes Backblech geben und bei 160 Grad Celsius ca. 30 bis 40 min backen. Ober- Unterhitze, hier gibts meist kein Umluft und eine Tasse fasst ca. 250 ml. Bessere Riegel hab ich bisher noch nicht gegessen und ich hab schon einige Rezepte selbst ausprobiert.

Weiter gehts auf dem Fluss, wie schoen dass jetzt ein paar schoene Tage vor uns liegen! Mit einem Patpatpat untermalt der Motor unsere Aufbruchstimmung. Komischerweise wird daraus gleich darauf ein proetproetproet und dann Stille. „Kein Problem, das Benzin ist bestimmt leer“ beruhigt Tyrel.

Doch Benzin ist noch genug drin. Oel auch. Tyrel versucht den Motor wieder zu starten und zieht mehrmals heftig an der Starterschnur. Der Motor springt wieder an, die Stimmung ist jedoch gedaempft. „Lass uns bald nach einem Lagerplatz Ausschau halten.“ schlaegt Tyrel vor und ich stimme zu. Nach zwei weiteren Flussbiegungen zeigt die Karte auf der rechten Seite eine Lagermoeglichkeit an. Langsam naehern wir uns und ein orangener Punkt ist entfernt genau dort auszumachen. „Das ist Joe!“ ruft Tyrel ueberzeugt. Ich Maulwurf bin noch nicht ueberzeugt. Wir kommen immer naeher, da kann auch ich ausmachen, dass der orangene Punkt ein Gummiboot ist, wie ich es schon bei Joe gesehen habe. Dass Joe jetzt neben seinem Boot steht, hilft mir bei der Identifizierung ungemein. Wir steuern auf das Ufer zu um zu plaudern.

„Heute hab ich frueh Feierabend gemacht, es ist schon alles bereit und das Feuer brennt. Es ist genug Platz fuer euch, wenn ihr wollt.“ „Nur, wenn es dich nicht stoert!“ „Ach, Quatsch, ich hab eh mein Buch zu Hause vergessen.“

Das Boot am Ufer vertaeut ueberlegen wir, was jetzt in welcher Kiste war und was wir fuer das Lager brauchen. Tyrel schnappt sich die Kettensaege und macht etwas Feuerholz. Joe hatte naemlich kein Benzin mehr in der Kettensaege und wollte mal gucken, ob das bereits Gesaegte vielleicht zum Fruehstueck am Morgen reicht. Waehrenddessen suche ich eine ebene Stelle im Waldboden und beaeuge die umliegenden Baeume. Mit ein paar Bungeeseilen und Gurten spanne ich eine Plane zwischen den Baeumen. Eine Seite ist die tiefste, damit eventueller Niederschlag ablaufen kann. Unter der Plane breite ich eine weitere Plane auf dem Boden, auf der wir schlafen werden. Darauf die Unterlagen, Schlafsaecke im heute morgen genaehten Leinen-Ueberzug und die Innenschlafsaecke. Ich sehe auf mein Werk und bin ganz zufrieden mit mir. Das haette ich letztes Jahr noch nicht ohne Weiteres alleine geschafft.

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Es sieht nur dahingeworfen aus, ist aber eine funktionierende Lagerstaette mit System.

Auch Tyrel ist zufrieden und lobt mich. Am Feuer koennen wir heute nicht schlafen, dafuer reicht der Platz da nicht aus. Aber ich freue mich schon auf die erste Nacht im Freien seit langem.

Als die Sonne untergeht, erhitzen wir Wasser ueber dem Feuer. Wir haben eine ganze Menge Fertiggerichte von Knorr mitgebracht; so erhoffen wir uns mehr Abwechslung als die Kaesenudelodysee von letztem Jahr. Wieder schuetten wir das Fertiggericht in einen Plastikcontainer zusammen mit heissem Wasser und lassen das ganze fuer einige Zeit eingepackt in meiner dicken Jacke quellen. Heute esse ich Honig-Knoblauch-Nudeln und die sind gar nicht mal so schlecht. Noch lange sitzen wir am Feuer und erzaehlen uns gegenseitig ernste und lustige Geschichten aus unseren Leben.

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Ein warmes Feuer vor Baumsilhouetten, Abenddaemmerung und Spiegelungen im Fluss.

Ich reisse mich vom Feuer und der Gesellschaft los und gehe noch einmal hinunter zu den Booten am Fluss. Wie schoen friedlich und einfach diese Welt doch sein kann.

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Grau-orange Abendstimmung am Fluss im Niemandsland.

Heute werde ich bestimmt gut schlafen. 🙂

Projekt Elchkanu Tag 6

Am fruehen Morgen werde ich aus dem Schlaf gerissen von Tyrels gekonnter Imitation einer verzweifelt riemigen Elchkuh. Wer das jetzt romanterisch findet, der hoere sich doch mal bitte exemplarisch an, wie das klingt.

Dazu muss ich anmerken, dass Tyrel das Ganze eher schreit. Hoert sich also eher an wie eine unheilige Mischung aus verzweifelter Elchkuh und rostiger Kettensaege.

Sofort schlage ich vor fuer unseren morgendlichen Weckton genau dieses Geraeusch einzustellen und stehe auf. Anscheinend kommt der kalte Morgen nicht wieder, es ist 1 Grad. Meine blaue, dick gefuetterte Latzhose macht beim Laufen ein leises siiipp, siiiipp, siiipp, was Tyrel in den Wahnsinn treibt. Anscheinend ist er der Meinung, Elche moegen keine warmen Hosen. Schliesslich ziehe ich Tyrels dicke Fleecehose ueber meine wollene lange Unterhose und nun kann auch der Elch nicht mehr meckern.

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Unser Camp am naechsten Morgen. Die Plane bietet Schutz vom Wetter und ist befestigt am Kanu und in den Sand gegrabenen Stoecken. Die Paddel spannen die Plane zusaetzlich auf, damit der Wind sie nicht auf uns nieder drueckt.

Beim Zubereiten des Fruhstuecks rufen wir und behalten unsere Umgebung genau im Auge. Leider ruehrt sich nichts. Wollen wir trotzdem eine weitere Nacht hier bleiben? Immerhin haben wir endlich einen Elchbullen gesehen!

Wir ueberlegen hin und her und entscheiden uns schliesslich dazu, zu gehen. Der Elchbulle von gestern hat allem Anschein nach eine gute Nase von unserem Geruch erhascht und ist jetzt ueber alle Berge. Wir machen einfach mehrere Pausen auf unserer Fahrt und rufen. Und hoffen auf eine bessere Gelegenheit.

Wir packen zusammen und fahren ein paar Flussbiegungen weiter, um dort zu rufen. Doch der Elch kommt nicht wieder. Auch kein anderer Elch schaut vorbei. Mist.

Ein paar Kilometer weiter versuchen wir es wieder. Rufen. Warten. Beobachten. Wieder Rufen.

Nichts.

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Aus dem gruenlichen Wasser des Yukon River ragen riesige Klippen hervor, die der Fluss ins Ufer gegraben hat.

„Dann sollte es halt nicht sein.“ denke ich mir und tauche wieder ab in die Monotonie der Paddelbewegung. Gleichfoermig wie in einer Meditation komme ich mit jedem Mal Paddeln meinem warmen Kaesekuchen ein kleines Stueckchen naeher.

„Mooose!“ Sofort sehe ich, was sich am Strand der kleinen Insel vor uns abspielt: Mama Elch liegt tatsaechlich mit ihren zwei Elchkaelbern am Strand und geniesst das Leben! Sofort hole ich meine Kamera raus. „Was machst du da?!? Schnell, wir muessen aus der Stroemung raus ans Ufer paddeln!!!“ Okay, okay. Die Kamera wird unsanft in den orangenen Muellsack am vorderen Ende des Kanus zurueckbefoerdert und ich lege mich maechtig ins Paddelzeug.

Aufgeschreckt durch die untypischen Flussbewohner suchen die Elche auch gleich das Weite. „Es koennen ja noch mehr Elche hier auf der Insel sein… wir pirschen uns an.“

Und wir pirschen und pirschen. Ueber Steine, durch Sand, Gras und Schlamm. Und finden nichts. Die ultrafrischen Spuren der fluechtenden Familie zeigen, dass diese gleich nach unserer Ankunft vom gegenueberliegenden Ende der Insel aus ans Festland geschwommen sind. Und die Elche haetten wir sowieso nicht gejagt, da die Kaelber noch zu jung waren und Mutti eh unter Schutz steht. Hmpf. Also geht es zurueck zum Kanu. Tyrel geht links durchs Unterholz, ich rechts.

Auf einmal ein lauter Knall!!!

War da jetzt doch noch ein Elch, den wir uebersehen haben?!

Freudestrahlend betritt Tyrel die Lichtung, die zwischen uns lag. Von seiner linken Hand baumelt… ein Hase. Der fuellt zwar nicht zu Hause die Gefriertruhen aber stellt eine willkommene Abwechslung in unserer derzeitigen Ernaehrung dar!

Ein gut gefuellter Teller Hasenfleisch ist die Jagdausbeute des Tages.

Als Beilage zum Hasen gibt es meinen Spezialkartoffelbrei, der aus vorportionierten und speziell gewuerzten Kartoffelflocken besteht.

Nach etwas mehr Paddelei sehen wir von weitem ein rotes Kanu. Es bleibt jedoch ganz weit entfernt. Erst jetzt wird mir bewusst, dass wir die letzten beiden Tage keinen anderen Menschen auf dem Fluss getroffen haben. Und irgendwie war es auch total okay so. Jetzt ist es aber auch wieder schoen zu sehen, dass man nicht allein ist auf der ganzen grossen Welt. Der grosse Abstand zum Kanu gefaellt mir ganz gut, so kann ich mir noch ein bisschen Zeit lassen mit meinen Gedanken, unsozialisiert.

 

Mit 47 km und einer Menge Jagdversuchen auf dem  Tacho halten wir fuer die Nacht. Wir schlafen in einem alten Holzfaellerlager, Erickson’s Woodyard. Doch heute ist es spaet und dunkel, morgen werden wir uns genauer umsehen.

Mein Schlafsack kuschelt mit mir von allen Seiten und leicht gleite ich ins Traumland hinueber.

Projekt Elchkanu Tag 5

Es sind kuschlige 5 Grad, als ich die Augen aufschlage. Hungrig. Sehr hungrig!

Obwohl ich gestern abend keinen Bissen mehr herunterwuergen konnte, klingen Kaesemacaroni komischerweise wieder verlockend und mir mundet meine Portion.

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Am Morgen sieht unser Camp etwas verwuestet aus. Unter den gespannten Planen liegen die Isomatten, schon verpackte Schlafsacke und das Feuer heizt Wasser im Topf zum Bereiten des Fruehstuecks.

Wieder lassen wir einen grossen Haufen gesaegtes und gespaltenes Holz zurueck. Der naechste Kanute (wahrscheinlich erst naechsten Sommer) wird sein Glueck kaum fassen koennen.

Nach dem kaesigen Mahl packen wir ein und machen auf den Weg, uns. Nach einigen Flusskilometern muessen wir unserem Teslin River auf Wiedersehen sagen – er muendet im Yukon River, auf dem wir fortan unterwegs sind. Kurz nach der Vereinigung der Fluesse gehen wir an Land und schauen uns ein wenig Geschichte an.

Wir sehen einen Schiffsfriedhof einer anderen Art. Zu der Zeit des Goldrausches Anfang der 1900er Jahre gab es einen regen Schiffsverkehr auf dem Yukon River. Doch mussten die Schaufelraddampfer vor dem Eis des harten Winters gesichert werden. Eine Insel bei Hootalinqua, wo Teslin und Yukon River zusammenfliessen, bot eine gute Lage fuer die Aufbewahrung. Dieses Schiff hiess erst Evelyn und dann Norcom, nachdem es von einem anderen Unternehmen aufgekauft wurde. 1913 wurde Evelyn das letzte Mal ueber riesige Holzbalken auf die Insel gezogen und ist nach wie vor schoen anzusehen – wenn auch heute mit einem etwas anderem Charme als noch vor 100 Jahren.

Ein paar Flusswindungen spaeter gab es schon das naechste Highlight: Der echte Unterbau der SS Klondike lugte aus dem Wasser hervor. Denn die SS Klondike ist hier 1936 auf Grund gelaufen. Der Oberbau wurde daraufhin geborgen und aus ihm ein neues Schiff gebaut, die SS Klondike 2, die heute als Rentnerdasein voll restauriert in Whitehorse eine grosse Touristenattaktion darstellt.

SS steht uebrigens fuer steam ship, also Dampfschiff und keinesfalls fuer eine politische Gesinnung der Werften.

Der Yukon ist merklich breiter und schnell fliessender als der Teslin River. Auch die Farbe hat sich geaendert, sie ist nun milchig-flaschengruen. Wenn es ganz still ist, hoere ich die Sandpartikel am Kanu entlangfliessen. Ich nehme es wahr als ein sehr beruhigendes, gleichfoermig sanftes Rauschen.

Immer mal wieder begegnet uns eine Gruppe Schwaene, die sich unter lautem Geschnatter fertig machen fuer den langen Flug in waermere Gefilde.

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10 Schwaene strecken ihren Hals, waehrend sie vom Fluss aus in Richtung Sueden ziehen.

Bei der ganzen Paddelei habe ich viel Zeit, meinen Gedanken nachzugehen. Die gleichfoermige Bewegung und mangelnde Ablenkung helfen. Meistens denke ich an Essen (wie wahrscheinlich im Alltag auch). Was man alles schoen kochen koennte, wenn man nicht auf einer Kaesemacaroni-Diaet waere. Oder was fuer Aktivitaeten in einem Leben doch alle moeglich sind, wenn man einen festen Wohnsitz als Basis besitzt.

In meinen Gedanken manifestiert sich unbaendige Lust auf zwei Dinge:

  • Kaesekuchen!!! Noch ofenwarm einfach reinschaufeln in den Schlund. Mit Muerbeteig als Boden und Rand.
  • Ein 1000 Teile Puzzle legen. Ziemlich schwierig auf dem Fluss, ich muesste es jeden Morgen wieder in die Schachtel legen und dann am Abend weitermachen. Eher nicht zu empfehlen. Aber zu Hause? Vorm Kamin? Yaaaaaay!!!!

Der Gedanke an eine herhafte Soljanka schwingt ab und zu mit, kann aber gegen die beiden Hauptbegierden nicht ankommen.

Die Zeit verfliegt, waehrend ich meinen Gedanken nachhaenge und schon ist es Zeit, einen Lagerplatz fuer die Nacht zu suchen. Zwei auf der Karte verzeichnete Plaetze verwerfen wir, da wir noch ein paar mehr Kilometer reissen wollen nach unserem etwas langsamen Tag gestern. Der immer dunkler werdende Wald wird abgeloest durch ein ehemaliges Waldbrandgebiet und kahle, tote Staemme ragen in den Himmel.

Da ploetzlich! ELCH! ELCHBULLE!!!!

Mit vereinten Kraeften paddeln wir uns irgendwie an das rechte Ufer und zerren das Kanu an Land. Tyrel greift das Gewehr. Wir rufen den Elch und pirschen langsam durch das ehemalige Waldgebiet, in die Richtung in der wir den Elch vermuten. Wir haben den Wind im Gesicht, das heisst der Elch kann uns nicht riechen, wenn er sich irgendwo vor uns befindet. Nach ca. 15 Minuten beschliessen wir, zurueck zum Kanu zu gehen und das Lager aufzuschlagen, da es bereits dunkel wird. Die ganze Zeit ueber begleitet uns Tyrels Imitation einer Elchkuh.

Waehrend des Lager Bereitens dann eine Bewegung am anderen Ufer! Ein Schatten bewegt sich hinter den Staemmen im Gebuesch! Tyrel ruft und ruft und schliesslich hoeren wir die grunzende Antwort des Elchbullen. Er muss tatsaechlich durch den Fluss geschwommen sein, um uns dann vom anderen Ufer aus in Augenschein zu nehmen. Doof fuer uns, jetzt weht der Wind naemlich von uns zu ihm…

Der Elch an sich ist ja nicht doof, nur aeusserst schmackhaft – was uns auch an erster Stelle in diese Situation gebracht hat. Scheinbar missbilligt er unsere seit fuenf Tagen groesstenteils unterlassene Koerperhygiene und verschwindet schliesslich im Unterholz. Einen sauberen Schuss haette Tyrel nicht landen koennen, da der Elch sich konstant bewegt hat, Baeume im Weg waren und wir im Zweifelsfall auch zu lange gebraucht haetten, ihm auf der anderen Seite des Flusses nachstellen haetten koennen.

Trotzdem kann es sein, dass der Elch sich am naechsten Morgen nochmals blicken laesst. Oder vielleicht ein anderer Bulle, wenn wir laut genug rufen?

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Eine Aufnahme vom naechsten Morgen: Dort am anderen Ufer ueberm Steilhang hinter Totholz schlich tatsaechlich ein Elchbulle umher!

Muede von 62 Flusskilometern schlafen wir unter einer Plane am Strand und hoffen, dass wir am naechsten Morgen mehr Glueck haben werden als heute.

 

Projekt Elchkanu Tag 4

Das konsequente Abspannen des Schlafplatzes mit Planen gestern hat dazu gefuehrt, dass der Rauch des Feuers genau in die Richtung meines Kopfes gewirbelt wurde. Die ganze Nacht ueber. Dementsprechend geraedert wache ich auf und registriere die sommerlich anmutenden 6 Grad mit maulwurfigen Augen.

Neben dem Schlafentzug ueberreicht mir Mutter Natur ein weiteres Geschenk: Ich habe meine Tage.

An dieser Stelle moechte ich nochmals auf den Besuch meines Bruders Anfang September verweisen. Hier praesentierte er mir die Frage, die ihm von Freunden/ Kollegen bezogen auf meine Person am haeufigsten gestellt wurde:

Wie macht sie das denn, wenn sie ihre Tage hat im Winter?!

An seiner Stelle haette ich ja direkt zurueckgefragt, wie das denn die Schwestern der Fragesteller macht, wenn sie ihre Tage hat… im Winter! 😀 Aber da es durchaus Leute zu beschaeftigen scheint, moechte ich gerne aus meinem Menstruationstaeschchen plaudern.

Schon im Jahre 2012 beschloss ich, der Damenhygieneindustrie ein Schnippchen zu schlagen und umzusteigen. Keine Binden mehr (verklebt und laeuft ueber) und auch keine Tampons (laeuft entweder ueber oder legt die Schleimhaeute trocken, wenn man nicht eine Blutungskurve vorliegen hat, an der man minutioes die Wechselintervalle anpassen kann).

Stattdessen benutze ich eine sogenannte Menstruationstasse aus Silikon. Die Vorteile haben mich total ueberzeugt!

  • Wiederverwendbar fuer ca. 10 Jahre -> spart eine Menge Geld und Muell.
  • Sehr scheimhautfreundlich, nichts wird ausgesaugt oder laeuft ueber.
  • Nur zweimal Ausleeren pro Tag.
  • Keine Duft-, Bleich- oder Schadstoffe werden an die Haut abgegeben.
  • Man spuert sie ueberhaupt nicht.

Fuer mich ist noch ein weiterer, entscheidender Vorteil, dass das Blut im Koerper gesammelt wird und so in der Wildnis keine hungrigen Baeren anlockt. Man kann es an einem Ort ausleeren, den man gleich wieder verlaesst.

Okay, das war der Exkurs. Nun zurueck zur Exkursion! 🙂

Obwohl ich aeusserst zufrieden bin mit meinem Blutungsmanagement, habe ich trotzdem aeusserst schlecht geschlafen und weiss nicht genau, wie ich den heutigen Paddeltag ueberleben soll. Aber zuerst beginnt dieser Tag eh wie jeder andere auch: Morgentoilette, Feuer mit Holz fuettern, Wasser im Topf holen und ueber dem Feuer platzieren, gewuenschtes Fruehstueck im Container platzieren (heute Ramen-Nudelsuppen) und darauf warten, dass das Wasser kocht.

Dann schliesslich kochendes Wasser in Behaelter giessen, Deckel druff, Container in warmer Jacke einpacken und warten, bis es einigermassen weichgekocht ist. Schliesslich essen, sitzend auf unseren kleinen, gelben Plastikkisten, hier milk crate genannt (zu deutsch: Milchkasten).

Tyrel reisst mich aus der Essseligkeit: „ELCH!! Ohne Witz!!!“

Tatsaechlich, am anderen Flussufer tritt aus dem Gebuesch… eine Elchin.

Beigeistert zuecke ich die Kamera und kann ein paar brauchbare Bilder schiessen, obwohl die Dame mit blossem Auge nicht so gut zu erkennen ist.

Tyrel ist damit beschaeftigt, seine persoenliche Interpretation einer riemigen Elchkuh durch die Gegend zu toenen, damit eventuell der Liebhaber der Elchin in Erscheinung tritt. Doch nichts geschieht, die Elchin zieht schliesslich weiter und wir wenden uns wieder der nun eher kuehlen Nudelsuppe zu.

Als wir die letzten Bissen verschlingen, zeigt sie sich noch einmal.

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Lady Elch stapft durchs Wasser und sucht anschliessend im flachen, pflanzigen Gewaesser nach Nahrung.

Einige Zeit noch verbringen wir mit Rufen – doch nichts tut sich. Noch eine Nacht hier verbringen moechte ich auf keinen Fall, nachdem ich so schlecht geschlafen habe. Also packen wir unsere Sachen und ziehen weiter.

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In den schnellfliessenden Aussenseiten der Kurven im Fluss finden sich immer haeufiger Klippen aus hellem Kies.

Das erste Mal halten wir, weil Tyrel eine kleine Flussmuendung entdeckt, in die kein Motorboot hinein fahren kann. So haben wir einen Vorteil mit unserer Kanu-Paddlerei, falls wir auf ein belebtes Elchgebiet stossen sollten.

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Ein kleines Rinnsal schlaengelt sich durch eine saftige Wiese, auf die die Sonne scheint.

„Jetzt muessen wir Geduld haben und rufen!“ stellt Tyrel fest. „Und sonst ganz leise sein!“ Wir setzen uns aufs Feld und warten und rufen und warten… und ich schlafe nach zwei Minuten ein.

Doch kein lauter Knall reisst mich aus meinem wohlverdienten Nickerchen, sondern Tyrel’s Einsicht, dass wir besser weiter ziehen sollten. Na gut, so lange es nicht allzu weit ist.

Als wir die naechste geeignete Bucht finden, wo Tyrel nach Elchen Ausschau halten moechte, mache ich klar, dass ich Schlaf brauche, um weiter paddeln zu koennen. Ich schnape mir einfach meine dicke Jacke und Tyrels Schwimmweste, die er ausgezogen hat, kraxle das Flussbett hinauf bis der Grund nicht mehr nass ist und lasse mich fallen. Kopf auf die Schwimmweste, Jacke als Decke und fertig ist das selige Nickerchen. Nach einer Stunde werde ich von selbst wach und frage mich, wie lange ich wohl geschlafen habe und wo Tyrel ist. Doch als ich mich aufrapple, sehe ich, wie er die Angelrute wieder im Kanu verstaut. „Kein Fisch beisst. Meinst du, du kannst weiter paddeln oder sollen wir lieber hier unser Lager aufschlagen?“ „Mein Akku ist wieder voller, lass uns noch paddeln.“

Schliesslich kamen wir noch auf 28 km am heutigen Tage und fanden einen schoenen Platz zum schlafen. Waehrend Tyrel sich ums Feuerholz bemuehte, ging ich den vielen Eulenrufen nach in den dunklen Wald hinein. Eine Eule kann ich fuer einen Augenblick sogar auf einem Baum sitzend entdecken, allerdings flattert sie schnell lautlos davon. Mit Hilfe meines Vogelbuches identifiziere ich sie schliesslich als great gray owl, zu deutsch Bartkauz. Ein grosses Voegelchen mit knapp 70 cm Koerperhoehe.

Unser Camp ist diese Nacht nicht komplett winddicht abgespannt und so kann der Rauch gut entweichen und wird nicht verwirbelt. Die Kaesemacaroni haengen mit mittlerweile wie zu erwarten zum Halse raus. Grossmuetig biete ich Tyrel den Rest meiner Portion an, welche er gern verschlingt.

Den Eulenrufen in der Nacht lauschend krabble ich tiefer in meinen roten Schlafsack und schlafe ganz friedlich ein.