Technik

Morgens halb 4 in Kanada

Schon 3:30h und hoechste Zeit aufzustehen!

Der Blick ist noch ganz verschwommen durch die Augenpopel, die um diese Uhrzeit noch nicht den Ausgang bei der Traenendruese gefunden haben. Trotzdem finde ich den Weg ins Badezimmer und stecke mir die Zahnbuerste in den Hals. Da sehe ich eine Nachricht, die mich stutzig werden laesst: Tyrel bittet mich darum, ihn aufzuwecken! Um diese Uhrzeit!

Seiner Bitte nachkommend hole ich ihn aus dem Lummerland und frage nochmals nach, ob er denn wirklich aufstehen moechte. Immerhin muss er erst in sieben Stunden zur Arbeit. Er entgegnet eine Frage: „Kannst du nachgucken, wie viel Schnee auf den Auto liegt?“ Ich stapfe zum Fenster an der anderen Seite des Hauses und schiele aufs Auto. „Nur ein bisschen Puderschnee, alles gut.“ „…ich habe die Einfahrt geraeumt!“ Erneutes Stapfen zum Fenster. „Oh wow, vielen Dank!!“ „Erst habe ich begonnen zu Schaufeln aber dann habe ich einen Redneck Plow gebaut. Ich fahre mit dir die Einfahrt hoch um dir zu zeigen, wie super das geht!“

  1. Unsere Einfahrt ist ca. 700 Meter lang mit beachtlichem Gefaelle (zum Haus geht es bergab) sowie Unebenheiten.
  2. Es hat diesen Winter ziemlich viel geschneit fuer Yukon Verhaeltnisse (Waden- bis kniehoch).
  3. Als Redneck Plow bezeichnet man einen Schneepflug, der notduerftig aus vorhandenen Materialien zusammengezimmert wurde und der hinter einem Truck gezogen wird.
  4. Tyrels Redneck Plow besteht aus zu einem Balken zusammengefuegten Holzlatten.

Moment… wenn er sich sicher ist, dass das super funktioniert, warum steht er dann um diese Uhrzeit auf?

Ich mache mich schnell fertig. Schliesslich mag ich es ueberhaupt nicht, zu spaet zur Arbeit zu kommen. Und gestern bin ich mit dem Auto eher die Ausfahrt hochgeschwommen statt gefahren.

Vor Ort stelle ich fest, dass der Schnee irgendwie verdichtet ist und ich darauf gehen kann. Scheint also geklappt zu haben das mit dem Schneeraeumen.

Nach ca. 7 Minuten hat Tyrel noch vor dem Huegel das Auto so festgefahren, dass es weder vor- noch zurueck geht.

Wir stapfen zum Truck, Tyrel faehrt mich bis zur Strasse und laeuft zum Haus zurueck. Es werden fuer ihn zwei harte Schaufelstunden werden, bis er das Auto zur Arbeit fahren kann. Ich schreibe meiner Arbeitskollegin, dass ich mich eventuell ein paar Minuten verspaeten werde. Zum Glueck habe ich jeden Morgen einen 15minuetigen Zeitpuffer fuer Unvorhergesehenes und schlechte Strassenverhaeltnisse eingeplant, sodass ich drei Minuten zu frueh ankomme. Im Buero schnell die aktuelle Flugplanung studieren, Schreibzeug und Taschenrechner greifen und ab in den Hangar.

Dort gehe ich zur Tuer rein und da stehen sie. Meine Arbeitskollegin und vor ihr zwei Duesenjets der kanadischen Luftwaffe!

Die beiden Schmuckstücke waren ein Unterhaltungspunkt bei den Sourdough Rendezvous letztes Wochenende. Sie sind geflogen und durften auch am Flughafen bewundert werden. Nun wärmen sie auch kurz in unserer beheizten Flugzeuggarage auf, bis sie sich wieder auf den Heimweg machen.

Nach gut 1,5 Jahren Whitehorse bin könnte ich auch mal wieder auf fliegen… Ob ich dieses Mal erfolgreicher bin im Kapern?

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Irgendwie fehlt mir der Steigbügel, um in dieses Flugzeug einsteigen zu können.

Ganz besonders interessant finde ich die Sitze der Piloten. Je Flugzeug sitzen zwei Piloten hintereinander und so sieht ihre Rückenlehne aus:

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Man könnte fast denken, es handelt sich um einen großen klobigen Plastikkasten, den man sich als Rucksack aufsetzt. Aber irgendwo muss ja die ganze Sicherheitsausrüstung hinpassen, samt Fallschirm und Schleudersitz.

Kurz vor 6 Uhr morgens sitze ich im Büro und wundere mich darüber, was heute schon alles passiert ist.

Job 4: Die Fluggesellschaft, Teil 2

Heute moechte ich ein wenig von meinem Arbeitsalltag als Technical Records Controller bei der Fluggesellschaft erzaehlen.

An meinen Arbeitstagen beginnt mein Morgen frueh. Sehr frueh. Um 3:30 h in der Frueh klingelt der Wecker, gegen 4:10 h sitze ich im Auto und fahre gen Stadt, damit ich aller spaetestens um 5 h da bin. Meist komme ich schon gegen 4:45 h an und gehe nachmittags etwas eher nach Hause. Aber ich weiss nie, wie die Strassenbedingungen morgens sind; daher ist ein Puffer eine gute Sache.

Ich laufe also morgens in mein Buerogebaeude, finde meinen Schreibtisch und einen Zettel, den ich mir am letzten Arbeitstag selbst geschrieben habe. Ein Blick in mein Email-Postfach zeigt mir, ob sich waehrend meines Feierabends noch etwas am Stand von gestern getan hat. Die grosse Frage ist: Welches Flugzeug fliegt zuerst, welche fliegen danach und welche sind vielleicht gar nicht in Whitehorse ueber Nacht?

Mit diesen Informationen gehe ich in den Hangar, was eine riesige Flugzeuggarage ist. Es ist wirklich ein schoener Anblick, morgens ganz allein zwischen den grossen Flugzeugen. Die Mechaniker der Tagschicht sind noch nicht da, das Licht ist gedimmt.

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Bei diesem Flugzeug wurde die Nase aufgeklappt, in der sich der Radar versteckt.

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Manchmal muss ich aus Platzmangel unter einem Flugzeug entlanggehen, was eine ungewoehnliche Sicht bietet.

Im Buero des Hangar angekommen, schaue ich auf meinen schlauen Zettel und schnappe mir das Logbuch des Flugzeugs, das als erstes fliegt. Falls das Flugzeug gestern geflogen ist, werde ich eine neue Logbuchseite ueberpruefen und in das Computersystem eingeben.

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Mein Taschenrechner liegt auf einer Logbuchseite.

Auf der Logbuchseite traegt der Pilot alle Flugdaten ein, so wie Zeiten, Anzahl der Landungen, Gewicht, Flughafen und technische Auffaelligkeiten. Meine erste Aufgabe ist es, die Berechnungen des Piloten zu ueberpruefen und gegebenenfalls zu korrigieren, bevor ich die Daten in die Instandhaltungssoftware uebertrage. Dabei kommt es auf die Richtigkeit von Flugzeit an („Flugzeugraeder verlassen den Boden“ bis „Flugzeugraeder haben wieder Bodenkontakt“) sowie die Anzahl der Landungen. Die einzelnen Instandhaltungsarbeiten von Flugzeugen sind naemlich gesteuert entweder nach Datum, Flugzeit oder Landungen. Alle sieben Tage muss zum Beispiel eine umfangreiche Inspektion erfolgen (keine Angst, jeden Tag natuerlich auch). Nach x Flugstunden muessen die Motoren endoskopisch untersucht werden. Und wenn das Fahrwerk eine gewisse Anzahl Landungen auf dem Buckel hat, muss es verschrottet und ersetzt werden.

In der Software ist jedes poplige Flugzeugteil in einer Instandhaltungskontrollnummer virtuell verbaut und weiss genau, wenn es bald inspiziert oder ausgetauscht werden muss. Dabei ist es egal, ob es sich um Bolzen, Verbandskasten oder Zuendpille im selbstausloesenden Feuerloescher im Motorraum handelt. Wenn die Lebenszeit begrenzt ist, wird genau verfolgt, wieviel Tage, Flugzeit und Landungen das Teil auf dem Buckel hat, seit es eingebaut wurde. Daher ist es wichtig, dass wir alles genau nachrechnen und eingeben, ansonsten kommt das ganze System ausser Takt und es wuerden entweder Arbeiten ueberfaellig oder zu frueh erledigt.

Warum muss man so penibel sein bei der ganzen Angelegenheit? Der ein oder andere wird es schon ahnen: Es ist gesetzlich vorgeschrieben. Wir werden vom kanadischen Transportministerium regelmaessig auditiert. Sollte es zu einem Vorfall oder sogar Unfall kommen, sind die Dokumente das Erste, was die Behoerden ueberpruefen. Falls man irgendwelchen Schindluder mit den Daten treibt oder sie zu seinen Gunsten anpasst, macht man sich persoenlich straf- und haftbar.

Nun aber zurueck zu mir gegen 5:05 h in dem kleinen Buero im grossen Hangar ueber dem Logbuch. Ich kontrolliere alle Berechnungen des Piloten. Falls mir eine Flugzeit unplausibel erscheint oder ich sie nicht lesen kann, schaue ich in unserer Flugverfolgungsdatei nach. Schliesslich gebe ich fuer dieses Flugzeug alle Daten ins System ein. Als naechstes pruefe ich, ob die taegliche Inspektion korrekt durchgefuehrt wurde und alle Stempel an den richtigen Stellen sitzen und lesbar sind. Stimmt etwas nicht, muss ein Mechaniker korrigieren, bevor das Flugzeug starten darf. Dann sichte ich alle Instandhaltungsarbeiten, die fuer dieses Flugzeug gestern ausgefuehrt wurden. Sind geplante Arbeiten dabei, aktualisiere ich die zugehoerige Instandhaltungskontrollnummer im System. Ungeplante Arbeiten werde ich spaeter im Buero erledigen.

Jetzt sind Flugzeit, Landungen und geplante Arbeiten im System aktualisiert und ich kann Berichte generieren und ausdrucken. Die Berichte kommen ins Logbuch und an die Wand im Instandhalterbuero. Aus ihnen ist ersichtlich, wann die naechsten Instandhaltungsarbeiten und Inspektionen geplant sind (wieder entweder bezogen auf Datum, Flugzeit oder Anzahl Landungen) und ob Instandhaltungsarbeiten ueberfaellig sind. Falls etwas ueberfaellig und nicht notwendig zum Fliegen ist, kann die Reparatur unter bestimmten Umstaenden fuer einige Tage zurueckgestellt werden. Ein gutes Beispiel hierfuer ist eine Kaffeemaschine von mehreren. Es geht auch ohne. Falls nicht genuegend Sauerstoffflaschen an Bord sind, weil eine angelaufen ist, darf das Flugzeug wiederum nicht starten.

Waehrend ich mit dem zweiten oder dritten Flugzeug beschaeftigt bin, kommt meist ein Mechaniker ins Buero und holt das Logbuch vom ersten Flugzeug ab. Ohne das Logbuch darf das Flugzeug nicht fliegen. Das Logbuch kommt ins Cockpit und das Flugzeug wird von einem Schlepperfahrzeug aus der Halle gezogen und zum Flughafen gebracht. Das ist auch der Grund, warum ich so frueh anfangen muss zu arbeiten. Die ganze Arbeit muss fertig sein, bevor das erste Flugzeug aus der Halle geholt wird.

Nachdem die Morgenroutine erledigt ist, gehe ich wieder in mein Buero. Je nach Tag bin ich nach 45 Minuten oder 3,5 Stunden auf dem Weg aus der Halle. Im Vorbeigehen bewundere ich nochmal die Flugzeuge. Alle drei Jahre muessen alle Flugzeuge uebrigens komplett auseinandergenommen werden in einem sogenannten Heavy Maintenance Visit, einem schweren Instandhaltungsbesuch. Dazu kommen eine ganze Menge speziell zertifizierte Mechaniker zu uns, damit sich unsere Mechaniker weiter um alle anderen Flugzeuge kuemmern koennen. Derzeit ist ein Flugzeug ziemlich nackig in der Halle. Hoffentlich werden keine gravierenden Maengel gefunden, sodass es nach ca. 8 Wochen wieder fliegen darf.

In den ersten Tagen in meinem neuen Buero habe ich mich gefragt, warum ich mich so heimisch fuehle. Die Antwort war einfach: Das Gebaeude, in dem ich sitze, ist in den gleichen Unternehmensfarben gestaltet wie das Stahlwerk, in dem 9 Jahre gearbeitet habe. Knallorange und stahlgrau. Was fuer eine Kombination.

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Eine orangene Wand erscheint hinter meinem grauen Buerowuerfel. Den Computerhintergrund ziert natuerlich ein Flugzeug!

Dann ist es auch schon Zeit fuer mein erstes Fruehstueck. Manchmal habe ich Glueck und im Instandhalterbuero sind ein paar Leckereien zu finden von nicht ganz leergefressenen Flugzeugen. Die lasse ich mir dann natuerlich schmecken.

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Heute gibt es einen Wurst- und Kaeseteller mit zwei Keksen und Mandarinen!

Den Rest des Tages bin ich damit beschaeftigt, alles was ich am Morgen fabriziert habe, nochmal zu rechnen und nachzupruefen. Schliesslich war es frueh und es ist wichtig, dass alles richtig ist. Dann kuemmere ich mich um alles ausserplanmaessige. Und falls ich immer noch Arbeitszeit uebrig habe, greife ich mir alte Logbuchseiten und ueberpruefe die nochmals genauestens, bevor die Dokumente schliesslich gescannt und archiviert werden koennen.

Das alles hoert sich uebrigens viel trockener an, als es ist. Es ist ja eigentlich nur Papierkram, aber man lernt so viel ueber Flugzeuge und jede Instandhaltungstaetigkeit ist verschieden. Wenn ich Fehler finde, muss ich haeufig nachforschen, was denn nun die Realitaet am Flugzeug ist, bevor ich es ins System eingeben kann. Dann muss ein Mechaniker nachgucken gehen. Und komischerweise verschafft mir das Auffinden und Korrigieren eine innere Befriedigung, die nur mit meinem genetischen Erbe zu tun haben kann. „AHAAA“ denke ich mir dann ganz laut und fuehle mich mega schlau. Ist mir ein bisschen peinlich vor mir selbst, ich bin doch eher der lockere Typ. Aber es bekommt ja keiner mit, es ist schliesslich ein innerer Ablauf, der erfreulicherweise dazu fuehrt, dass mir die ganze Arbeit Spass macht.

Neben mir arbeiten noch zwei weitere Technical Records Controller in meiner Abteilung. Die sind beide nett und helfen mir, wenn ich Fragen habe. Zudem essen wir alle sehr gern, was das Gemeinschaftsgefuehl noch verstaerkt. 🙂

Eine Kollegin hab ich mir geschnappt und wir haben zusammen ein Flugzeug gekapert… Naja fast, ich wusste dann doch nicht die ganzen Knoepfe zu bedienen. 😉

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Ich sitze am Steuer eine Boeing 737.

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Was macht man, wenn man vor einem Triebwerk steht? Natuerlich salutieren! 😀

Ich arbeite uebrigens 10 Stunden pro Tag und dafuer nur 4 Tage die Woche. Das finde ich sehr angenehm, so spare ich mir einmal die lange Fahrt und habe jede Woche ein langes Wochenende. 🙂

P.S. Meine Handykamera scheint langsam den Geist aufzugeben. Ich hoffe, ich kann die Qualitaet bald verbessern, sonst muss ich mir was anderes einfallen lassen.

Habt eine gute Woche!