Eins vorneweg: Alle Fahrradtypen sind wunderschön und sollten gefeiert werden.
Doch ich habe mich verliebt in den sinnlichsten Typen. Seitdem steht für mich fest: Echte Räder haben Kurven.
Der Name ist diskriminierend und sollte boykottiert werden. Ja, ich habe mir ein Fatbike gekauft. Aber es ist nur stabil gebaut und hat halt schwere Speichen. Gegen diese Rundungen kann kein ultraleichtes Rennrad ankommen.
Mein dickreifiger Drahtesel lehnt an einem Strassenschild
100 mm breite Felgen – die Reifen ragen darueber hinaus. Zum Haende waermen sind Lenkerhandschuhe bzw. Lenkerstulpen installiert.
In Deutschland habe ich hin und wieder ein Fatbike gesehen und mich gefragt, welcher Ingenieur denn bitte freiwillig ein völlig ineffizientes Fahrrad entwickelt, was genauso sinnvoll ist wie ein Monstertruck in den 90er Jahren. Nur dass man mit dem Fahrrad noch keine Stadien füllen kann um durch brennende Reifen zu fahren oder über 5 LKW zu springen.
Das war genauso so lange meine Meinung, bis ich eins probegefahren bin. Über Eis und einer Mischung aus tiefem und festgefahrenem Schnee mit einigen Bordsteinen versetzt. Und ich bin so gefahren als wäre das normaler Asphalt.
In einer Welt, auf der ein gutes halbes Jahr lang Schnee liegt, ist das verdammt nützlich! Mit meinem deutschen Trekkingrad bin ich auch im Winter gefahren. Das ging immer so lange gut, bis ein Flatschen Eisschnee auf dem Weg lag. Dann hieß es Schneckentempo und festhalten. Oft genug sprang das Vorderrad aber hin und her, sodass ich schieben musste um nicht zu fliegen.
Dem Fatbike ist alles egal. Mit den 100 mm breiten Felgen walzt es einfach alles platt und gräbt sich weder in Sand noch Schnee ein. Wer mal versucht hat, mit dem Rad die Nachbarskinder auf dem Spielplatzsand zu beeindrucken, weiß, dass das normalerweise eine mühselige Angelegenheit ist.
Jetzt fahre bzw. schiebe ich mich und das Rad jeden Tag zum Ende der Straße hoch. Das dauert je nach Verfassung 35 bis 45 Minuten. Der Rückweg ist mit drei Minuten ohne Treten deutlich angenehmer und die kleine Belohnung. Durch die anhaltenden Temperaturen letzter Woche von -30 bis -35 °C wuchs mir auch zuverlässig ein lieblicher SchwEISsschnurrbart. Besser geht es nicht! Die folgenden Bilder dokumentieren meinen Bartwuchs, chronologisch geordnet von -30 bis -35 Grad.
Meist versuche ich, gegen Sonnenaufgang meine Tour zu machen. Das manchmal goldene, manchmal rosa oder orange Licht der Sonne zu dieser Jahreszeit ist wirklich einzigartig.
Dick eingemummelt bergauf schieben
Die Sonne lugt ueber die Berge und wirft orange-rosa Licht zwischen die Baeume.
Es daemmert, ein schoener Farbverlauf zeigt sich hinter den Bergen
Mittlerweile ist ein starker Suedwind aufgezogen und es sind sommerliche -5 Grad Celsius geworden. Das ist immerhin ein Temperaturunterschied wie von 0 Grad auf 30 oder 35 Grad innerhalb von zwei Tagen. So ein warmer Wind wird hier Chinook genannt und der kommt einfach von Zeit zu Zeit bis es wieder richtig kalt wird.
Nach einer superlangen Wartezeit ist jetzt auch endlich der ganze Papierkram eingereicht, der mir zur unbefristeten Aufenthaltserlaubnis verhelfen soll. Frueher dachte ich in Deutschland ist die Buerokratie verstaubt und umstaendlich. Als 16jaehrige versuchte ich einst, eine Mofa ohne Betriebserlaubnis mit Kaufvertrag, den mein Bruder unterschrieben hatte, auf mich zuzulassen. Das Wartezimmer des Strassenverkehrsamtes sah mich in den folgenden Wochen mehr als mein damaliger Freund. Zugegeben, mit dem stark bebrillten, untersetzten Mann des Nummernschildcenters haette ich auch wahrscheinlich eine harmonischere Beziehung fuehren koennen. Aber das ist eine andere Geschichte.
In Deutschland haette man nur mit Reisepass, Perso und Krankenversicherungsnachweis zum Auslaenderamt gehen muessen und waer legal wieder herausgekommen. In Kanada brauchen sie Beweise. Dass man existiert. Wo man wohnt. Wann man sich besucht hat und wo. Dass man keine Tuberkulose hat (inkl. Roentgenbild) und keine krimelle Vergangenheit. Schriftlich und beglaubigt. Nebst Ausfuellen unzaehliger Fragebogen. Dass, was so lange gedauert hat, war jedoch die Namensaenderung von Tyrel. Da er meinen Nachnamen annehmen wollte, mussten alle seine Dokumente geandert werden (nacheinander!), bis man dann einen neuen Reisepass beantragen konnte. Dafuer muss man drei langjaehrige kanadische Freunde finden, die eidesstattlich versichern, dass man existiert und das Blut zum gewissen Teil aus Ahornsirup besteht. Am laengsten hat aber die Aenderung des Fuehrerscheins gedauert mit 2,5 Monaten. Und warum? Weil sies koennen.

Ein Stapel Antraege – schnell weg damit und ab die Post!
Als dann schliesslich der Reisepass in der Post war, wollte ich sofort alles wegschicken. Als ich die Aktualitaet der Formulare auf der Regierungsseite pruefte, erschien aber die Meldung, dass fuenf Tage spaeter ein neuer Prozess mit neuen Formularen eingefuehrt wird, mit dem die Aufenthaltserlaubnis in 12 statt 26 Monaten ins Haus flattern koennte. Also habe ich genau genommen Zeit gespart, indem die Namensaenderung so lange gedauert hat! In drei bis vier Monaten sollte auch meine Arbeitserlaubnis da sein. Darauf freue ich mich wirklich, endlich wieder was zur Haushaltskasse beitragen!!
Doch so lange wird mir die Zeit auch nicht lang. Es gibt immer was zu tun und das ohne Fernseher, der einen auf Standby stellt waehrend man in die Roehre guckt. 🙂
Das Schoene ist, dass ich dem Ganzen ohne Sorgen begegnen kann. Ich weiss, dass es wird. Bis jetzt ist alles geworden. Und wenn man sich den Kopf zerbricht, gewinnt man nichts ausser Magengeschwueren. Man kann es eh nicht aendern. Jeden Tag stehe ich auf und mache das, was anliegt, so gut ich kann. Und nebenbei versuche ich mein Leben so auszurichten, dass das, was anliegt, mir auch noch Spass macht. So laesst es sich aushalten, egal ob Chinook oder nicht.