Fleisch

Ausrichtung

Den Sommer habe ich dafuer genutzt, zu ueberlegen. Was mich aus der Bahn geworfen hat. Ja, vielleicht Corona. Aber genau was an Corona? Und was kann ich machen um mich in dem Leben, das ich gestalten kann, wieder in Balance zu bringen?

Ich glaube es war mein Thema mit der Freiheit. Ich liebe das Gefuehl von Freiheit, von Moeglichkeiten und Selbstbestimmtheit. Das ist uns in den letzten Monaten allen ein wenig abhanden gekommen. Auch wenn es vorher vielleicht nur eine Illusion war, denn wie viele der scheinbar unbegrenzten Moeglichkeiten hat man denn tatsaechlich ausgekostet? Und vieles ist doch noch machbar, wenn auch vielleicht anders als gewohnt.

Also was kann ich tun um mich wieder frei zu fuehlen?

Fuer mich lautet der Weg: Eigenverantwortung uebernehmen und so viel wie moeglich selbst machen. Auch wenn ich es gut finde, dass Tyrel und ich uns gut ergaenzen in der Partnerschaft, verleitete es mich dazu, manche Dinge nicht mehr selbst zu machen. Weil er schneller/geschickter/besser ist in einigen Dingen. Doch das fuehrte unbemerkt zu einer gewissen Abhaengigkeit, da ich ihn ja oefter darum bitten musste, gewisse Dinge zu tun. Dass er fuer zwei Monate auch am Wochenende gearbeitet hat, hat die Situation natuerlich nicht entspannt. Also Aermel hochkrempeln und selbst ist die Frau.

Einige kleinere Bauprojekte wurden von mir geplant und durchgefuehrt, ganz alleine. Normalerweise halte ich wenigstens Ruecksprache mit Tyrel, weil er mehr Erfahrung in den Dingen hat. Aber alles hat auch so geklappt.

Mit Freunden habe ich eine Zeltgarage aufgebaut, in der ich meine Sachen lagere, sowie alles was zu Huehnern und Landwirtschaft gehoert. Ausserdem habe ich dort eine kleine Werkbank, mit der ich wetterunabhaengig werkeln kann.

Fuer vier Tage habe ich eine viertaegige Kanutour mit Freunden gemacht und ganz ohne Tyrel geplant, gepackt, gepaddelt und gelagert. Er musste arbeiten und hat sich um die Huehner gekuemmert.

Und was mir mit Abstand am schwersten fiel:

Ich habe Hahn Jumanji gekoepft und zu Suppe verarbeitet.

Fuenf Haehne hatte ich insgesamt. Einen habe ich behalten, drei habe ich zu neuen Huehnerharems vermitteln koennen. Doch Jumanji… er hat Klumpfuesse bekommen, was immer ausgepraegter wurde je schwerer er wurde. Am Ende konnte er weder scharren noch in den Stall huepfen ohne regelmaessig umzufallen. Auf eine Sitzstange fuer die Nacht fliegen klappte auch nicht. Ich wusste nicht, ob ihm die Fussfehlstellung Schmerzen bereitet hat. Aber in der letzten Woche seines Lebens wurde er richtig fies zu seinen Mithuehnern und auch zu mir und griff gerne an, wenn man in seine Naehe kam. Ich koennte jetzt einen Vergleich ziehen zu einem Propagandaminister mit Klumpfuss, aber lasse es lieber.

Ihn zu schlachten, was in der Theorie logisch klang, war nicht mehr so einfach als er vor mir lag und mich ansah, waehrend ich das Beil ansetzte. Doch eine Alternative sah ich nicht.

Jemand anders fragen, die Handlung fuer mich zu erledigen?

Nicht selbstverantwortlich.

Ihn leben lassen?

Nicht verantwortungsvoll ihm gegenueber (wobei ich mir bewusst bin, dass es dazu andere Meinungen gibt).

Ihn beerdigen?

Nicht fair gegenueber all den anonymen Lebewesen, die ich bisher in meinem Leben gegessen habe. Die waren genauso am Leben wie Jumanji, nur dass sie keinen Namen hatten, nicht mit ihnen gekuschelt wurde, sie weder gekannt noch geliebt wurden.

Waere es besser, wenn er nach dem Schluepfen direkt geschreddert worden waere, wie es zu Millionen geschieht?

Waere es besser, sich mit Fleischkomsum nicht naeher zu befassen und einfach im Supermarkt zu kaufen, was sauber abgepackt im grell beleuchteten Regal steht?

Waere es besser, vegan zu leben?

Viele Fragen auf die nur jeder selbst eine Antwort finden kann.

Fuer mich ist es okay Tiere zu essen, wenn ich mich aktiv damit auseinandersetze und daran teilhabe. Daher jage ich, arbeite ich in der Fleischerei und esse meine Huehner, wenn ich keine andere Moeglichkeit sehe, sie ein glueckliches Leben fuehren zu lassen.

Trotzdem:

Tut mir leid, Jumanji.

Danke Jumanji.

Ich hab dich gern Jumanji!

Nun ist Hahn Daisy der Chef in der Gruppe. Seine Zehen sind zwar auch nicht perfekt gerade, aber das ist nur ein Schoenheitsfehler – er kann scharren, springen und laufen ohne Probleme.

Aber die letzten Wochen waren nicht nur schwer und wegweisend. Sie waren auch voller schoener Momente, Lachen und Bewunderung fuer die Natur.

Zum Beispiel habe ich endlich das perfekte Dankeschoen Geschenk fuer meine Freunde gefunden, die die Kueken in den ersten Wochen grossgezogen haben: Kissen, die mit einem Bild ihres Lieblingshuhns bedruckt wurden.

Ich freue mich ueber die zwei Kissen mit Huhn Icicle. Der rechte Hintergrund ist das Weltall, und der linke Hintergrund eine Strasse in Tokyo.

Natuerlich gab es auch viele schoene Momente mit den Huehnern.

Alles in allem ein schoener, wenn auch verregneter Sommer. Morgen hole ich die letzte Gemuesekiste der Saison ab. Und dann geht es in grossen Schritten auf den Winter zu.

Danke an die treuen Seelen, die trotz der Inaktivitaet hier trotzdem regelmaessig reinschauen. Das motiviert mich immer wieder, mich trotz Unlust doch zum Schreiben aufzuraffen!

Das Gleiche gilt natuerlich fuer die Wachruettelversuche per Email. ^^

Habt ihr die Krise auch als Anlass genommen, mehr selbst taetig zu werden und was zu machen, was ihr sonst nicht getan haettet? Und hilft euch das so wie mir? Wuerde mich ja interessieren. 🙂

Flusstour 2019 – Tag 3 (Achtung, Bilder von Fleisch und totem Tier!)

In der Nacht weckt mich Armas Bellen.
Ist da etwas?
Guter Hund!

Sie bellt sehr selten, was ich begruesse. Aber jetzt ist ihr etwas nicht geheuer und sie warnt uns. Tyrel hoert auch Schritte im Unterholz am Ufer. Aber sie entfernen sich bereits. Um uns schwarze Nacht. Ich schlafe wieder ein.

Etwas spaeter (es ist immer noch pechschwarz) werde ich wieder geweckt, dieses Mal von Tyrel.
Wir müssen packen und los!
Es ist 7 Uhr morgens.

Na gut, dann stehe ich eben auf. Arma begleitet mich zur Morgenroutine (Pinkeln, Strecken und Feuer machen mit nassem Holz). Wenigstens regnet es gerade nicht. Als das Feuer endlich prasselt, wende ich mich wieder Tyrel zu. Der hat sich nach seinem Weckdrill nicht wieder bewegt und schlaeft felsenfest.

Das heisst dann wohl, dass ich Fruehstueck mache.

Ich lasse mir Zeit. Hier in der Wildnis besitzen Uhren keine Macht. Und ich geniesse den Frieden der Morgenstunden.

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Die Wolken haengen tief ueber den Bergen, aber der Tag beginnt trocken und mit einem spiegelglatten Fluss.

Ein paar Stunden nach Tyrels Weckruf muss ich ihn schliesslich wecken. Er geniesst sein Fruehstueck im Schlafsack, es gibt gegrillte Kaesesandwiches mit Chili-Thunfisch. Ich lasse mir nicht nehmen, diesen Umstand zu dokumentieren.

Tyrel bnb
Arma frisst wieder nichts außer ein paar Happen aus Tyrels Hand.
Ich bin etwas besorgt. Aber sie spielt mit Stöcken und rennt umher wie wild. Kann also nicht so schlimm sein.

Der Baer (also das Fell samt Schaedel und Tatzen) sieht beim Zusammenpacken aus, als haette er eine wilde Nacht hinter sich gehabt.

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Der Grizzlykopf samt Hintertatze auf einem in der Wildnis herumstehenden Klapptisch.

Als wir alles im Boot verstaut haben, und Arma uns erwartungsvoll anblickt, bin auch ich bereit fuer einen neuen Tag auf dem Fluss.

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Hund und Boot sind bereit fuer das Ablegen.

Auch dieses Jahr ist der Flusspegel niedrig. Haeufig muessen wir flache Stellen im Fluss umfahren, was bei unserer Bootskonstruktion gar nicht so einfach ist. Doch Tyrel macht das wirklich prima. Ich throne waehrenddessen auf dem gepolsterten Vordersitz, navigiere nach Karte und halte Ausschau nach Felsen, Wetter und natuerlich Wild.

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Das Wetter klart auf – Erste Sonnenstrahlen waermen die Berge und vertreiben die letzten Wolkendecken.

Arma stinkt hin und wieder nach Bärenleber, anscheinend ist ihre Beute noch nicht ganz verdaut. Aber frische Luft gibt es hier im Ueberfluss, daher ziehen auch diese Wolken schnell ab.

Einige Stunden sind wir auf dem Fluß unterwegs, dann sehen wir Joes Boot und landen.
Wir beschließen auch hier zu lagern.

Joe merkt an, dass er den ganzen Tag daran denken musste, dass die Tenderloins (Lendchen?) vom Grizzly vorzüglich schmecken würden zusammen mit seinen Kartoffeln, Karotten und Pilzen… Ich stimme zu und mache mich auf den Weg zum Boot, um die besagten Stueckchen herauszuschneiden.

Ich bereite alles zu, mit ein paar Tipps vom gelernten Koch Joe und füge nach dem Braten und Köcheln noch eine Dose Pilzsuppe hinzu.
Das Resultat ist einfach nur köstlich!

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Mit meinem Goeffel verzehre ich den dicken Kartoffel-Moehren-Pilz-Grizzly-Eintopf. Dies ist die erste Portion von vielen an diesem Abend.

Den Abend lang stiehlt sich Arma mehrmals davon, um etwas entfernt einen Baum mit einem Eichhörnchen darauf zu bewachen. Das deute ich als Zeichen, dass es ihr gut geht. Wenigstens frisst sie heute Abend eine winzige Portion ihres Futters.

Wie ich schon in einem vorigen Beitrag erwaehnte, habe ich keine Süßigkeiten mitgenommen, da ich zu viel davon esse und meinem Koerper nicht Unmengen an Zucker auf Dauer antun moechte. Ich dachte hier in der Wildnis kann ich auf Entzug gehen.
Doch Joe bietet belgische Schokolade mit Mandeln und Rosinen an. Tyrel lehnt ab, ich vergesse meine Vorsaetze und schwebe auf einer süßen Schokowolke.

Warum hier draussen alles so viel besser schmeckt, weiss ich nicht. Aber irgendjemand sollte dieses Phaenomen unbedingt wissenschaftlich untersuchen!

Bison Jagd – der dritte Versuch (Achtung, blutige Bilder, langer Beitrag!)

Es ist Mitte November 2017. Tyrel und ich haben ganze fuenf Tage zusammen frei! Schnell beschliessen wir, wieder auf Bisonjagd zu gehen. Die letzten beiden Male hat es zwar nicht geklappt (und auch der Elchversuch wurde nichts) aber auf dem Sofa vor dem Kamin sind die Jagdchancen gleich Null! Ausserdem ist das Campen im Winter immer wieder besonders schoen, wenn auch nicht sehr komfortabel. Die Wettervorhersage schwankt zwischen -25 und -30 Grad. Brrr.

Eigentlich wollten wir uns ja ein Schneemobil anschaffen. Die letzten zwei Jagdversuche haben gezeigt, dass man ohne solches keine reellen Chancen hat, da die Bisons gleich am Anfang der Saison von den ersten Jaegern ins Hinterland gescheucht werden. Und zu den Orten, an denen sich die Herde dann aufhaelt, genuegt auch ein strammer Dreitagesmarsch nicht. Die Strapazen, das ganze Tier dann mit dem Schlitten nebst Ausruestung zurueckzuziehen, will ich mir gar nicht vorstellen.

In unser Budget passte nur ein ziemlich gebrauchtes Schneemobil und der Kleinanzeigenmarkt gab nichts her, was Tyrels Anspruechen genuegte. Ich kenne mich nicht aus mit Schneemobilen, daher vertraue ich einfach seiner Expertise.

An einem freien gemeinsamen Vormittag vor unserer freien Zeit fahren wir also gemeinsam raus zu unserer letzten Bisonjagdstelle und wandern zu dem Ort, wo wir im Januar 2017 unsere Schlitten mit Ausruestung ueber einen zugefrorenen Fluss gezogen haben. Einfach um zu gucken, wie viele Schneemobilspuren schon zu sehen sind. Vielleicht sind die Bisons ja noch gar nicht vertrieben!

Vor Ort erwartet uns eine gute und eine schlechte Nachricht. Gut: Noch keine Spuren von Schneemobilen! Schlecht: Der Fluss ist noch nicht zugefroren!!!

Nach langem Ueberlegen, waten im Fluss und Gummistiefeln voller eisigem Wasser dann die Ueberlegung: „Wir koennten an dieser Stelle vielleicht mit dem Truck durch den Fluss fahren!“ Wenns klappt, super! Wenns nicht klappt, ganz grosser Mist. Dann muessen wir versuchen, den Truck mit Seilwinde irgendwie wieder rauszuziehen. Bei -25 Grad, im Wasser. Aber Tyrel zeigt sich zuversichtlich, wenn wir nur Schneeketten und genug Last im Truck haben. Wir beschliessen, unseren Freund James nach Rat und ggf. seinen Segen zu fragen, immerhin wohnt er schon etliche Jahrzehnte im Yukon.

James haelt das Vorhaben fuer moeglich. Allerdings fuegt er hinzu, dass er zu alt fuer den Scheiss ist und keine Lust haette, den Truck selbst aus dem Fluss zu ziehen im Fall der Faelle. Aber in unserem Alter, klar.

Wir packen also reichlich Proviant und Wechselklamotten zu den ganzen Jagdutensilien. Einen Tag vor Abreise kommt mir dann aber noch eine Idee!

Eine Nachricht ging vor kurzem durch ganz Kanada und vor allen den Yukon. Bei der Bisonjagd hat ein pensionierter Forstbeamter ein Bison angeschossen, welches daraufhin zurueck in den Wald gewandert ist, als waere nichts passiert. Nach 20 Minuten Warten ist er dem Bison nachgegangen, um es zu erlegen. Fataler Fehler: Das Gewehr hatte er dabei auf den Ruecken geschnallt! Im Wald ueberrascht das Bison ihn dann und fuegt ihm etliche Verletzungen zu, bis es keine Lust mehr hat, ihm um einen Baum herum nachzujagen. Dann wird es schliesslich erlegt. Wer die originale Geschichte lesen, will, klicke hier.

Meiner Meinung nach waren es zwei Fehler, die der Jaeger begangen hat:

  1. Wenn man in den Wald geht, um ein verwundetes Tier zu suchen, sollte man das Gewehr bereits in der Hand halten.
  2. Wenn ich nicht sicher bin, ob ich das Tier gut treffen kann, schiesse ich nicht. 250 Meter ist ne Menge, wenn man nicht sehr erfahrener Schuetze ist und je nach Kaliber laesst dann auch die Schusskraft schon entscheidend nach.

Jetzt aber zurueck zu meiner Idee: Der besagte Jaeger war nicht alleine auf Jagd, sondern begleitet von seinem 72jaehrigen Freund Fred, der sich zur Zeit der Bisonattacke im Truck ausgeruht hat. Wir kennen Fred, da wir einen gemeinsamen Freund haben! Meine Idee also: Wir koennen doch einfach mal nett fragen, wo sich dieses Drama abgespielt hat. Wenn da ein Bison war, haengt da vielleicht noch ein zweites rum.

Nach einem Telefonat steht der Plan. Wir werden alles packen wie geplant, fahren zuerst zur Stelle aus den Nachrichten, wandern ein wenig herum und dann, wenn wir nichts sehen, geht es mit dem Truck hoffentlich sicher durch den eisigen Fluss.

Schliesslich ist es soweit. Wir fahren los und finden auch die beschriebene Abfahrt vom Highway und die weiteren Gabelungen, die uns zum Tatort des Bisonangriffs bringen. Nachdem wir etwas gefahren sind, parken wir den Truck und steigen aus, um uns etwas umzusehen.

Nach einer Minute finde ich Bisonspuren im Schnee!! Es schneit jedoch ein bisschen und es herrscht auch leichter Wind, sodass man nicht genau sagen kann, wie alt die Spuren sind. „Vielleicht von letzter Nacht.“ schaetzt Tyrel. Natuerlich folgen wir den Spuren um zu sehen, wohin das Bison letzte Nacht gewandert ist.

Die Spuren den Bison fuehren zu einem kleinen See und dann am linken Ufer entlang. Sie verlaufen nicht geradeaus, sondern immer mal wieder zu Buschwerk und Baeumen, dann und wann ist etwas Schnee aufgekratzt. Wahrscheinlich hat es nach Futter gesucht auf seinem Weg.

Schliesslich fuehren die Spuren einen Hang hinauf auf ein Plateau. Tyrel und ich kraxeln hinauf.

„BISON!!!“ schreifluesstert Tyrel.

Ca. 20 bis 30 Meter vor uns steht tatsaechlich ein Bison.

Mein Herz faengt an zu rasen, ich kann es nicht fassen.

Tyrel laedt das Gewehr und zielt.

Doch das Bison hat uns auch entdeckt und schaut uns direkt an. Ganz ruhig steht es da und guckt. Bewegt sich nicht.

So kann natuerlich nicht geschossen werden. Man muss das Tier von der Seite erwischen. Nur so kann sichergestellt werden, dass der Schuss Lunge und/ oder Herz trifft und das Tier moeglichst schnell stirbt. Ein Kopfschuss kann schnell abprallen durch die dicke Schaedeldecke oder nicht-lebenswichtige Bereiche des Hirns treffen. Wuerde man das Tier frontal in den Brustbereich schiessen, ist das Brustbein im Weg und die Gefahr ist gross, dass der Schaden nicht an Herz und Lunge, sondern den Eingeweiden auftritt und das Tier unnoetig leidet sowie das Fleisch verunreinigt wird.

Das Bison muss sich also langsam zur Seite drehen! Wenn es so verharrt, kann Tyrel nicht schiessen. Wenn es wegrennt, ist das Ziel wahrscheinlich zu unsicher und wenn es auf uns zurennt dann muessen wir uns wahrscheinlich auch einen Baum suchen, um den wir herumrennen koennen.

Das Bison starrt. Und starrt. Tyrel zielt. Und ich? Ich halte mir die Ohren zu, mein Herz rast wie verrueckt und ich kann nicht aufhoeren, schnell durch den Mund zu atmen. Wahrscheinlich wirke ich gerade mehr als idiotisch! Meinen Blick kann ich nicht vom Bison wenden.

Da fuehle ich Tyrels Arm an meinem und ich hebe die Haende von meinen Ohren. „Sei leise! Du atmest total laut!!!“ Ja, recht hat er aber ich bin aus der Puste wie nach einem Langlauf! Ich versuche also halbwegs leise zu atmen und das dann auch noch durch die Nase.

Das Bison bewegt sich. Ganz langsam. Erst den Kopf. Dann geht es einen Schritt zur Seite und der Koerper steht schliesslich seitwaerts zu uns.

Ein Knall.

Ist das Bison getroffen?? Es bewegt sich langsam und… dreht die andere Koerperseite zu uns!!

Tyrel laedt nach und ein weiterer Knall ertoent.

Das Bison dreht uns den Hintern zu und geht gemaechlich ein paar Schritte zum naechsten Baum. Dort legt es sich auf die Seite.

Tyrel geht auf das Bison zu, ich halte ihn am Arm fest. „Lass es in Ruhe sterben!! Wenn du es erschreckst, steht es nochmal auf und rennt weg!!“ „Ich moechte doch nur eine bessere Sicht haben, damit ich nochmal schiessen kann, falls es aufsteht.“ „Okay, aber lass es in Ruhe! Ich hole den Truck.“

Atemlos laufe ich durch den Schnee bei -25 Grad den Hang hinunter. Dann beschliesse ich, dass es jetzt auch nicht mehr auf eine Minute ankommt und gehe einfach schnell. Ich kann es nicht fassen. Ein Bison!!

Nach 10 Minuten Fussmarsch erreiche ich den Truck und fahre ihn rueckwarts an den Hang hinan. Tyrel kommt mir entgegen. „Es ist tot, ich hab es ihs Auge gepiekt.“ Ins Auge pieken ist uebrigens ein ueblicher Test zu ueberpruefen, ob ein Tier tot ist. Der Reflex, das Auge zu schliessen, wenn etwas hineinpiekt, ist einer der letzten, der versagt.

„Als erstes muessen wir ein Feuer starten. Unten am See habe ich ein paar tote Baeume gesehen. Ich werde die gleich in Stuecke saegen und du kannst mir helfen, alles zum Bison zu tragen.“

Tyrel schnappt sich die Kettensaege, gestiftet von Oma und Opa, und ich greife mir den gelben Kinderschlitten, um schon Messer, Fleischbeutel, Aexte und sonstige Utensilien zum Bison zu bringen. Achja, die Kamera nicht vergessen.

Waehrend die Kettensaege vom Seeufer ertoent, stehe ich vor dem toten Bison und versuche irgendwie Danke zu sagen. Aber wie? Keine Worte die ich kenne, koennen Mitleid, Dankbarkeit, Trauer und Freude so ausdruecken, wie ich das alles jetzt empfinde. Ich streichel den Bisonkopf und sage einfach „Danke“.

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Der Bisonkopf ruht im Schnee.

 

Ein wenig merkwuerdig sieht der Kopf vom Bison schon aus, denke ich mir. Irgendwie verbeult. Andererseits hab ich ja auch wenig Vergleichsmoeglichkeiten mit auf der Seite liegenden Bisons von Nahem bislang.

Kurz haenge ich meinen Gedanken nach, dann steige ich hinab zum Geraeusch der Kettensaege. Schliesslich liegt eine Menge Arbeit vor uns.

Das ganze gesaegte Holz wird den Hang hochgeschleppt, dann hacken wir Holz mit der Axt und starten ein Feuer. Das Feuer brauchen wir unbedingt, um die Messer und Haende aufzuwaermen wahrend des Haeutens. Wenn Blut oder Fett am Messer festfriert (bei -25 Grad sehr wahrscheinlich) ist die Klinge stumpf und schneidet nicht mehr. Und auch die Finger werden durch die nassen Handschuhe kalt und unbeweglich. Im Herbst und Sommer muss man sich darum keine Gedanken machen.

Es handelt sich uebrigens um ein maennliches, sehr junges Bison. Ein Blick in das Maul verraet, dass es gerade die Milchzaehne verliert und die Hoerner zeigen nach oben, das heisst es ist etwa drei bis vier Jahre alt. Zum Groessenvergleich ein Bild zusammen mit mir.

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Ich knie hinter dem Bison im Schnee. Bis auf den aufgeblaehten Bauch ist das Bison nicht sehr maechtig.

Sobald das Bison stirbt, kann das natuerlich entstehende Gas in den vielen Maegen nicht mehr hinaustransportiert werden. Deshalb schwillt der Bauch an.

Als erstes muss das Bison auf den Ruecken gedreht werden, damit mit dem Haeuten begonnen werden kann. Unser Bison ist klein und kann problemlos mit zwei Personen bewegt werden. Allerdings ist es schwierig, es auf dem hohen Nackenkamm zu balancieren. Daher nehmen wir zwei Holzscheite zur Hilfe, die wir links und rechts an die Seiten klemmen.

 

Das Ende vom Brustbein wird erfuehlt und die Haut vorsichtig eingeschnitten. Man moechte schliesslich nicht die Eingeweide verletzen, die ziemlich unter Druck stehen.

Das Haeuten dauert ein paar Stunden. Man moechte vorsichtig vorgehen, damit keine Loecher im Fell entstehen und auch das Fleisch nicht unnoetig angeschnitten und beschaedigt wird.

Schliesslich ist das Bison entkleidet und liegt auf seinem Fell wie auf einer Decke.

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Die ersten Hufglieder werden abgetrennt und schliesslich auch der Kopf, den Tyrel mit der Axt vom Koerper trennt.

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Der Bisonkopf liegt abgetrennt im Schnee.

Leicht ist jetzt am Kopf zu erkennen, dass eine Seite stark geschwollen ist. Das Bison konnte wahrscheinlich nicht mehr gut sehen auf der Seite und muss Schmerzen gehabt haben. Vielleicht hatte es Zahnschmerzen, weil es Probleme mit dem Wechsel von Milchzaehnen zu normalen Zaehnen gab? Auch die Hoerner sehen etwas asymmetrisch aus.

Um den Ruecken vom Fell zu trennen, muessen wir die Holzkeile entfernen und das Bison erst auf die eine, dann auf die andere Seite drehen. Das Fell bleibt dabei die ganze Zeit als saubere Unterlage fuer das Fleisch liegen.

 

Der naechste Schritt ist normalerweise das Ausweiden. Da die Innereien aber so unter Druck stehen, kann es sein, dass sie beim Ausweiden explodieren und saemtliches Fleisch verunreinigen. Daher entscheiden wir uns dafuer, zunaechst die Keulen zu entfernen, damit diese bei einer moeglichen Explosion nicht verunreinigt werden koennen.

Jetzt, wo nur noch der aufgeblaehte Rumpf des Bisons vor uns liegt, fasst sich Tyrel ein Herz und oeffnet ganz vorsichtig die Bauchdecke. Ein grosser Ballon kommt uns entgegen. Tyrel schafft es tatsaechlich nichts zu beschaedigen, sodass die Innereien zum Glueck nicht explodieren. Alles bleibt frei von Magen- und Darminhalten.

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Ein riesiger Ballon voller Maegen und Eingeweide entspringt dem nun klein aussehenden Bisonrumpf. Daneben liegen Fell und Kopf.

Nach dem Ausweiden steht der Transport zum Truck an. Hierbei ist wichtig, dass man das ganze Fleisch zuerst transportiert und erst zum Schluss das Fell und den Kopf. Wenn man naemlich zuerst den Kopf zum Truck bringt und dann ein Mitarbeiter der Jagdbehoerde vorbeikommt, ist es so, als wolle man das Fleisch da vergammeln lassen. Und das ist strafbar. Von einem Bison muss alles Fleisch verwendet werden. Kopf und Fell ist optional. Das ist anders beim Baeren, bei dem man das Fell verwenden muss, das Fleisch aber zuruecklassen kann. Das finde ich ungerecht. Wenn man ein Tier toetet, dann soll man es meiner Meinung auch essen und das Fleisch nicht verkommen lassen. Dabei ist es egal, ob es sich um Bison oder Baer handelt, bei richtiger Zubereitung ist beides gesund und lecker.

Als alles Fleisch und schliesslich auch Kopf und Fell im Truck verstaut sind, muessen wir natuerlich noch aufraeumen. Unsere ganzen Sachen nehmen wir mit. Dann sind nur noch die Eingeweide da und das Feuer.

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Der riesige Haufen Eingeweide ist groesser als das Feuer aus aufgetuermten Holzscheiten.

Tyrel erklaert mir, dass wir noch die Eingeweide auf das Feuer rollen muessen. „Warum denn?“ wundere ich mich, schliesslich ist das Feuer nun wirklich nicht in der Lage, die Eingeweide zu verbrennen. „Der Geruch, der entsteht, ist kilometerweit wahrnehmbar fuer alle Fuechse, Kojoten, Woelfe und Raben. Und meinst du nicht, die freuen sich bei diesen Temperaturen ueber eine warme Mahlzeit?“ Na gut, das leuchtet ein!

Als ich das abschliessende Bild von den Eingeweiden auf der Feuerstelle und dem zerlegten Bison im Truck schiessen moechte, gibt der Akku meiner Kamera entgueltig den Geist auf. -25 Grad sind nicht sehr batteriefreundlich.

Waehrend wir nach Hause fahren, wird es Nacht. Ich kann immer noch nicht glauben, was passiert ist. Zweimal fahren wir hinaus in die Wildnis und ziehen tagelang Schlitten durch den Schnee hinter uns her und sehen nichts. Und dann koennen wir den Truck fast 100 Meter an das Bison heranfahren? Verrueckt.

Zuhause stellt sich erstmal die Frage, wo wir das Bison lagern. Wir wollen es die naechsten Tage ueber zerlegen und unsere Wohntemperatur zu warm, die Aussentemperatur zu kalt, der Kuehlschrank zu klein. Schliesslich kleiden wir unser Naehzimmer komplett mit neuen Planen aus, oeffnen das Fenster ein bisschen und schliessen die Tuer. Das Thermometer bestaetigt die perfekte Kuehlschranktemperatur.

Jetzt, wo wir fuer heute Feierabend machen koennen und sich die Aufregung legt, merken wir, wie hungrig wir sind. Schnell rolle ich einen Fertig-Pizzateig aus, backe ihn vor und bereite den Pizzabelag vor. Tomatensauce, Gewuerze, Mais, Spinat, KAESE und… haben wir noch etwas Fleisch? Aeehm… einen ganzen Raum voll?

So entsteht das erste Gericht mit Bisonfleisch: Bisonpizza.

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Ein Blech voller Bisonpizza stillt den grossen Hunger.

Als wir dann auf dem Sofa sitzen und verdauen, werde ich ganz traurig.

Ich fuehle mich so hilflos und kann es einfach nicht verstehen. Vor einigen Stunden hat mich ein Bison angeschaut. Jetzt liegt ein Fleischberg in unserem Naehzimmer. Wo in aller Welt ist das Bison hin?!? Wo ist das, was sich bewegt hat? Was ist der Unterschied zwischen lebendig und tot und wohin kann er so ploetzlich verschwinden??

Warum hat das Bison Schmerzen gehabt? Mit welchem Recht koennen wir es essen? Warum muessen wir Tiere oder Pflanzen essen zum leben? Und in was fuer einer Gesellschaft leben wir eigentlich, dass mich die Realitaet dieser Fragen erst im Alter von 29 Jahren erwischt?!?

Ganz in Ruhe konnte ich mit Tyrel ueber alles reden. Er glaubt, dass es einfach eine Art Elektrizitaet ist, die das Bison vom Fleischberg unterscheidet. Die Elektrizitaet war in dem Bison, sie ist in uns und auch in einer Zuendkerze, wenn wir ein Auto starten.

Vielleicht muss Leben vergehen, damit Leben entsteht und Leben erhalten wird. Und spielt es dabei eine Rolle, ob es eine Pflanze ist, die ihr Leben gibt oder ein Tier, solange es respektvoll geschieht? Ich glaube, beide koennen fuehlen.

Warum bietet unsere Gesellschaft oder Kultur keine Hinweise, wie man seine Dankbarkeit und seinen Respekt ausdruecken kann, fuer ein Lebewesen, dass einen naehrt? Warum klammern wir alles aus, was mit diesen komplexen, widerspruecklichen Gefuehlen zu tun hat? Nimmt es uns nicht ein Stueck Realitaet?

In den naechsten Tagen zerlegen Tyrel und ich das Bison Stueck fuer Stueck und frieren die Stuecke ein.

Als wir die beiden Hinterkeulen zerlegen, bemerken wir grosse Verletzungen an beiden Keulen, die wir grosszuegig hinausschneiden muessen. Es sieht so aus, als waere das Bison von einem anderen Bison in den Hintern gespiesst worden. Vielleicht haben sie gemerkt, dass es Zahnschmerzen hat und nicht ganz gesund ist, und es daher aus der Herde vertrieben. Das kleine Bison tut mir noch ein Stueck mehr leid.

Doch da muss ich an eine Weissheit der Ureinwohner denken. Sie sagen, dass in dem Moment, in dem du ein Tier erlegst, gibt es freiwillig seinen Leib, um dich zu naehren. Es ist ein grosses Geschenk, was dir widerfaehrt. Sei dankbar und handle mit Respekt.

Der Gedanke hilft mir. Und war es nicht tatsaechlich ein bisschen so, dass sich das Bison nach langem Starren einfach in die perfekte Position zum Abschuss gestellt hat, gleich zwei Mal?

Spaeter, beim Zerlegen der Vorderkeulen, mache ich noch eine Entdeckung.

Das Projektil vom ersten abgegebenen Schuss hat die Vorderkeule getroffen und ist nach ca. 2 cm Eindringtiefe von einer dicken Sehne gestoppt worden. Das erstaunt Tyrel und mich sehr. Immerhin war das Bison nur ca. 20 Meter von uns entfernt, Wir haben das empfohlene Kaliber und Geschoss verwendet, sowie superteure Premium-Munition. Wir beschliessen, ein staerkeres Gewehr zu kaufen, wenn wir das naechste Mal auf Bisonjagd gehen. Am besten eins fuer Elefanten.

Und wieder bin ich dankbar, dass das Bison sich nocheinmal auf die andere Seite gewandt hat, sodass schliesslich Herz und Lunge getroffen wurden. Es haette ja auch verwundet weglaufen koennen.

Auch wenn diese Erfahrung zum Teil traurig war, habe ich sehr viel gelernt, was ich nicht missen moechte. Ein bisschen verwundert bin ich, dass mich der Tod des Baeren nicht so traurig gemacht hat. Allerdings kam der ja auch zu uns und hat sich nicht ganz korrekt verhalten.

Danke an alle, die diesen langen Beitrag ganz bis zum Ende gelesen und diese lehrreiche Zeit nochmals mit mir durchlebt haben! 🙂

Wenn die Muelltonne dreimal raschelt… (Achtung, blutige Bilder)

Samstagmorgen, die Welt dreht sich wie ueblich um ihre Achse, waehrend in einem Trailer in der kanadischen Wildnis sich entspannt wird.

Doch die uebliche Stille haelt nicht wie ueblich an. Erst ein Geraeusch. Vielleicht ist ein Eichhoernchen auf etwas gesprungen und es ist umgefallen? Die nachfolgenden Geraeusche machen klar: Das ist kein Eichhoernchen. Noch nicht mal ein sehr dickes Eichhorn. Da ist etwas Grosses. Und es ist maechtig mit unserer Muelltonne beziehungsweise deren Inhalt beschaeftigt.

Was ist also zu tun? Tief durchatmen, Munition in das 30-06 Gewehr und leise, leise die Lage ueberpruefen. Vielleicht ist es ja auch nur ein Nachbar? … eher unwahrscheinlich.

Ungefaehr 10 Meter entfernt bestaetigt sich der Verdacht. Ein Baer, genauer gesagt ein Amerikanischer Schwarzbaer durchwuehlt die mittlerweile geoeffnete und umgestossene Muelltonne. Mit lauten Geraeuschen wird er hoffentlich von seinem derzeitigen Projekt vertrieben werden. Tueren knallen, es wird laut gerufen und sonstiger Laerm veranstaltet um dem Kumpanen klar zu machen, dass das hier nicht in Ordnung ist.

Keine Chance, Meister Petz zeigt sich aeusserst unbeeindruckt und faehrt einfach fort.

Waere er einfach davongerannt, haetten wir den Muell aufgeraeumt und waeren wieder zur Tagesordnung uebergegangen. Aber durch sein Verhalten ist er zum Problembaeren geworden. Ein Baer, der keine Angst vor Menschen zeigt und lernt, dass es okay ist, Muell zu verspeisen, kann gefaehrlich werden.

Nach langem Warten fuer den richtigen Moment (schliesslich bewegt sich das Ziel und es sind reichlich Aeste im Weg) faellt ein Schuss. Der Baer springt und laeuft noch wenige Meter, bis er unter einem Baum zur Ruhe kommt. Dann ist Stille. Und wir warten. Schliesslich moechte man sicher sein, dass der Baer ziemlich dolle tot ist, bevor man sich naehert um sich restlos davon zu ueberzeugen.

Schliesslich naeherten wir uns dem Kollegen. Mit Waffe. Am besten ueberprueft man den Tod, indem man ins Auge piekt. Ist zwar fies, aber wer da nicht blinzelt, ist reichlich tot oder sonst wie nicht mehr zu einer Reaktion faehig. Anschliessend stellten wir das Geschlecht fest. Es handelte sich um einen maennlichen Baer im Teenageralter. Der geneigte Kanadier sagt uebrigens boar und sow zu geschlechtsspezifischen Baeren, also Eber und Sau, so wie bei Schweinen.

Der Baer war noch ziemlich jung, wahrscheinlich zwei oder drei Jahre alt und gerade von Mama Baer vertrieben worden, damit die in die naechste Nachwuchsrunde einsteigen kann. Diese Baeren machen den meisten Aerger. Sie wissen noch nicht genau, wie alles funktioniert in der Welt, in der sie jetzt ganz alleine sind. Und sie sind gerade von einem ca. 6 oder 7-monatigen Nickerchen aufgewacht und verdammt hungrig. Viele Leute halten Schwarzbaeren fuer harmlos, da sie relativ klein sind und vorwiegend Pflanzen- oder Fischfresser. Der Mensch steht also nicht auf dem Speiseplan. Aber ich weiss, wie ich reagiere, wenn ich hungrig aufwache und mir jemand mein Essen wegnehmen will. Und mehr Schaden anrichten als ein missmuetiger Rottweiler koennen sie allemal.

Nach dem Feststellen des Todes und des Geschlechts ist das Naechste, was man macht, die Abschusserlaubnis, der sogenannte tag, zu entwerten und am Baer vorschriftsgemaess anzubringen. Sowohl der Tag, Monat, das Geschlecht und die Jagszone muessen auf dem tag durch Herausschneiden des entsprechenden Feldes gekennzeichnet werden. Bei dem Baer muss der tag am Schaedel befestigt werden. Wir schnitten ein Loch durch die Unterseite des Unterkiefers und befestigten den tag mit einem Kabelbinder.

Es ist uebrigens auch legal, einen Baeren zu erschiessen, wenn er auf dem Grundstueck herumwuetet und sich nicht vertreiben laesst. Dann muss man allerdings sofort die Jagdbehoerde informieren, die dann vor Ort kommt, Fragen stellt und den Baeren einkassiert. Da Tyrel aber noch zwei Schwarzbaer tags fuer diese Saison hat, mussten wir diesen Weg nicht gehen.

Dann stellte sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Unser Freund James erklaerte sich nach einem kurzen Telefonat bereit, dass wir den Baeren bei ihm verarbeiten koennen. Zum einen besitzt James Tische aus Sperrholzplatten, die schnell mit Planen bestueckt werden koennen und so einfach zu reinigen sind. Und zum anderen hat er Elektrizitaet und ausserdem eine fast leere Tiefkuehltruhe, die spaeter noch wichtig wird.

Also entschieden wir uns, den ganzen Baeren zu James zu verfrachten und dann bei ihm nach kurzer Autofahrt mit dem Haeuten und Ausweiden zu beginnen. Wie transportiert man aber einen Baeren? Zwar haben wir einen Truck aber so einfach auf der Ladeflaeche ist leicht pietaetlos. Also ab mit Meister Petz in eine grosse Plastikbox, in der sonst mein Daunenschlafsack entspannt.

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Der Baer passt wirklich gut in die ca. 120 cm lange Plastikbox!

Gut zu erkennen ist die Einschussstelle am Baeren, direkt hinter dem Schulterblatt und ein wenig tiefer. Beim Ausweiden stellte sich heraus, dass das Herz komplett zerfetzt wurde. Das erklaert auch, warum der Baer keinen Ton mehr von sich gegeben hat und so schnell zusammenbrach. Waere er eines natuerlichen Todes gestorben, haette er wahrscheinlich laenger leiden muessen.

Bei James angekommen machten wir uns dann auch gleich ans Haeuten und Ausweiden. Es ist wichtig, dass das schnell geschieht, damit das Fleisch kuehlen kann und nicht verdirbt. Ausserdem weiss man nicht genau, ob man vielleicht Darm/ Magen/ Galle getroffen hat. In dem Fall moechte man die Kontaminationszeit auch so kurz wie moeglich halten und das Fleisch gut spuelen.

In unserem Fall war bis auf Herz und Lungen aber noch alles intakt. Nach dem Haeuten oeffnet man also die Bauchdecke und entfernt alle Organe. Anschliessend geht es ans quartern, also das Entfernen der Vorder- und Hinterbeine vom Rumpf. Wenn man damit fertig ist, ist der erste Teil der Arbeit geschafft und man kann erstmal durchatmen. Viele Leute haengen die Fleischstuecke fuer einige Zeit, um sie angeblich zarter zu machen. Wir haben eine kurze Pause eingelegt (immerhin hat Haeuten, Ausweiden und quartern 2,5 Stunden mit zwei Personen gedauert) und sind dann zum naechsten Teil gestartet.

Zum Fleisch schneiden und verpacken sind wir in die Kueche umgezogen. Es gab dort naemlich besseres Licht sowie einen warmen Ofen. 🙂

Ich schnappte mir also einen hind quarter (Hinterbein), legte ihn vor mir auf das Schneidebrett, nahm ein Messer und…. blickte fragend auf. Wie schneidet man das denn jetzt, damit was Vernuenftiges bei herauskommt?! Die Antwort von Tyrel und James war: „Egal. Es gibt kein richtig oder falsch, das ist alles Fleisch. Wenn du ein Steak essen willst, schneide ein Steak. Sonst schneide ein paar Muskeln zusammen raus und mach einen Braten draus. Wenn du Sehnen und sonstiges Gewebe herausschneidest, ist es gut. Wenn das nicht geht, weil es sonst zu klein wird, kein Problem. Dann koch es einfach sehr langsam und lange.“

Nach dieser Devise ging es dann zugange und Paeckchen fuer Paeckchen wurde verpackt und landete in der Gefriertruhe.

Als alles verstaut war, waren wir beschaeftigt mit Aufraeumen und Abwaschen. Knochen, Gedaerme und gebrauchte Planen und Tuecher wanderten in den Muell und wurden entsorgt. Lediglich die Gallenblase haben wir bewahrt und zum Trocknen aufgehaengt. James ist mit einer Medizinfrau befreundet, die aus Baerengallenpulver Medizin herstellt. Der Baerenkopf musste noch aus dem Fell geloest werden und wieder mit dem tag versehen, damit alles seine Richtigkeit hat. Das Zerlegen und Aufraeumen dauerte nochmals 3,5 Stunden, sodass wir nach 6 Stunden mit allem fertig waren und jetzt ca. 25 Kilo Baerenfleisch in der Tiefkuehltruhe liegen haben.

Waehrend wir mit den letzten Aufraeumarbeiten beschaeftigt waren, briet James Teile vom backstrap (heisst anscheinend Lachs auf deutsch) zusammen mit Zwiebeln und Paprika an. Erschopeft aber gluecklich liessen wir uns das erste Baerengericht zusammen mit Kaesemacaroni schmecken.

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Das Baerenfleisch ist optisch nicht von Rindfleisch zu unterscheiden. Wenn man es nicht weiss, wahrscheinlich auch geschmacklich nicht.

Der geneigte Leser fragt sich jetzt wahrscheinlich „Wie schmeckt Baerenfleisch?“ Also dieser Schwarzbaer schmeckt, wie ich finde, aehnlich wie Rindfleisch. Ein bisschen wilder, ein bisschen suesser aber nicht total anders. Bei Schwarzbaeren gibt es aber anscheinend sehr grosse Unterschiede im Geschmack des Fleisches. Im Fruehjahr schmecken sie wohl alle ganz gut. Aber im Herbst kommt es sehr darauf an, womit sie sich denn ihren Winterspeck angefuttert haben. War der Baer in den Bergen unterwegs und bestand seine Diaet groesstenteils aus Beeren, ist das Fleisch geschmacklich ausgezeichnet. Stammt der Baer aber von der Kueste oder hat er sich viel an Fluessen aufgehalten, kann das Fett und somit auch das Fleisch einen sehr tranigen, fischigen Geschmack annehmen. Auf jeden Fall sollte man Baerenfleisch aber vor dem Verzehr komplett durchgaren, da Baeren genau wie Schweine von Trichinen (Fadenwuermer) befallen sein koennen.

Es ist uebrigens bei Baeren nicht vorgeschrieben, das Fleisch zu verwerten, so wie es bei Hirsch, Elch, Reh, Bison und Karibou beispielsweise zwingend notwendig ist. Man darf nur das Fell samt Klauen und den Schaedel nicht verkommen lassen.

Bis zum 15ten Tag des Folgemonats muss man mit dem Baerenschaedel und dem daran befestigten tag zur Jagdbehoerde gehen und da den Abschuss vermelden. Wer moechte, kann fuer weitere Studien noch ein Stueckchen Fell zur Verfuegung stellen, sowie den genauen Abschussort auf einer Karte zeigen.

Das Fell kann man entweder selbst schaben um es vom Fett zu befreien und dann salzen und aufspannen oder es aber zum Gerber geben. Durch den Prozess beim Gerber bleibt die Haut geschmeidig und flexibel wie ein gekauftes Leder, beim Salzen wird es hart.

Bislang ruhen Schaedel und Fell in Muellsacken in der Gefriertruhe und warten auf unseren naechsten freien Tag unter der Woche, damit wir die Sachen erledigen koennen. Wenn alles gefroren ist, wird ja bekanntlich nichts schlecht. 🙂

Wenn ich zurueckblicke, finde ich bemerkenswert, dass ich keine Angst hatte. Klar, ich war aufgeregt und hatte Herzklopfen, es war doch alles so spannend. Aber es ist nicht so, dass ich mich jetzt fuerchte, vor die Tuer zu gehen. Ich wohne halt im Baerenland und es kann ein Baer vorbeikommen. Solange man sich dessen bewusst ist und nicht zum Beispiel Lebensmittel mit ins Zelt nimmt, ist die Gefahr aber deutlich geringer als in Deutschland in ein Kraftfahrzeug zu steigen.

Nach der ganzen Aufregung habe ich mir uebrigens mal wieder ein Eis aus meinem Lieblings Eisladen gegoennt.

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Herzhaft beisse ich in ein riesiges Sandwich aus blauer Eiscreme und zwei Keksen mit Schokostueckchen. Das Blau des Eises unterstreicht dabei meinen Sonnenbrand der Farmarbeit.

Blaues Eis schmeckt in Kanada uebrigens weder nach Vanille, Kaugummi, Himmel oder Schlumpf. Hier ist allen klar, dass Vanille cremefarben und Kaugummi rosa ist… und blau? Ganz klar Zuckerwattegeschmack! „Wie schmeckt denn bitte Zuckerwatte? Doch nur total suess, oder?“ fragte ich mich gleich. Aber nein, das blaue Eis zwischen den Keksen verwandelte sich in meinem Mund an eine Erinnerung an Rummel und Jahrmarkt… Stimmt, so schmeckt also Zuckerwatte. 🙂