Samstagmorgen, die Welt dreht sich wie ueblich um ihre Achse, waehrend in einem Trailer in der kanadischen Wildnis sich entspannt wird.
Doch die uebliche Stille haelt nicht wie ueblich an. Erst ein Geraeusch. Vielleicht ist ein Eichhoernchen auf etwas gesprungen und es ist umgefallen? Die nachfolgenden Geraeusche machen klar: Das ist kein Eichhoernchen. Noch nicht mal ein sehr dickes Eichhorn. Da ist etwas Grosses. Und es ist maechtig mit unserer Muelltonne beziehungsweise deren Inhalt beschaeftigt.
Was ist also zu tun? Tief durchatmen, Munition in das 30-06 Gewehr und leise, leise die Lage ueberpruefen. Vielleicht ist es ja auch nur ein Nachbar? … eher unwahrscheinlich.
Ungefaehr 10 Meter entfernt bestaetigt sich der Verdacht. Ein Baer, genauer gesagt ein Amerikanischer Schwarzbaer durchwuehlt die mittlerweile geoeffnete und umgestossene Muelltonne. Mit lauten Geraeuschen wird er hoffentlich von seinem derzeitigen Projekt vertrieben werden. Tueren knallen, es wird laut gerufen und sonstiger Laerm veranstaltet um dem Kumpanen klar zu machen, dass das hier nicht in Ordnung ist.
Keine Chance, Meister Petz zeigt sich aeusserst unbeeindruckt und faehrt einfach fort.
Waere er einfach davongerannt, haetten wir den Muell aufgeraeumt und waeren wieder zur Tagesordnung uebergegangen. Aber durch sein Verhalten ist er zum Problembaeren geworden. Ein Baer, der keine Angst vor Menschen zeigt und lernt, dass es okay ist, Muell zu verspeisen, kann gefaehrlich werden.
Nach langem Warten fuer den richtigen Moment (schliesslich bewegt sich das Ziel und es sind reichlich Aeste im Weg) faellt ein Schuss. Der Baer springt und laeuft noch wenige Meter, bis er unter einem Baum zur Ruhe kommt. Dann ist Stille. Und wir warten. Schliesslich moechte man sicher sein, dass der Baer ziemlich dolle tot ist, bevor man sich naehert um sich restlos davon zu ueberzeugen.
Rechts im Bild unsere Behausung (Trailer im Planenzelt) und ganz links der Muell, ca. 10 Meter entfernt.
Baerli hat unseren Muell gut unter die Lupe genommen. Unsere Diaet scheint groesstenteils zu bestehen aus Bohnen (Kidney, schwarze sowie weisse in Tomatensosse), Eiern und Reese-Erdnussbutterschokolade. *raeusper*
Unsere Muelltonne, wieder am angestammten Platz. Links am Deckel kann man gut erkennen, wo der Baer reingebissen hat, um den Deckel irgendwie herunterzubekommen. Weitere kleine Bissloecher sind verteilt.
Schliesslich naeherten wir uns dem Kollegen. Mit Waffe. Am besten ueberprueft man den Tod, indem man ins Auge piekt. Ist zwar fies, aber wer da nicht blinzelt, ist reichlich tot oder sonst wie nicht mehr zu einer Reaktion faehig. Anschliessend stellten wir das Geschlecht fest. Es handelte sich um einen maennlichen Baer im Teenageralter. Der geneigte Kanadier sagt uebrigens boar und sow zu geschlechtsspezifischen Baeren, also Eber und Sau, so wie bei Schweinen.
Der Baer war noch ziemlich jung, wahrscheinlich zwei oder drei Jahre alt und gerade von Mama Baer vertrieben worden, damit die in die naechste Nachwuchsrunde einsteigen kann. Diese Baeren machen den meisten Aerger. Sie wissen noch nicht genau, wie alles funktioniert in der Welt, in der sie jetzt ganz alleine sind. Und sie sind gerade von einem ca. 6 oder 7-monatigen Nickerchen aufgewacht und verdammt hungrig. Viele Leute halten Schwarzbaeren fuer harmlos, da sie relativ klein sind und vorwiegend Pflanzen- oder Fischfresser. Der Mensch steht also nicht auf dem Speiseplan. Aber ich weiss, wie ich reagiere, wenn ich hungrig aufwache und mir jemand mein Essen wegnehmen will. Und mehr Schaden anrichten als ein missmuetiger Rottweiler koennen sie allemal.
Unter einer Aspe legte sich der Baer und stand nicht mehr auf.
Das Fell ist fast durchgehend schwarz. Nur um das Maul herum ist es leicht hellbraun.
Nach dem Feststellen des Todes und des Geschlechts ist das Naechste, was man macht, die Abschusserlaubnis, der sogenannte tag, zu entwerten und am Baer vorschriftsgemaess anzubringen. Sowohl der Tag, Monat, das Geschlecht und die Jagszone muessen auf dem tag durch Herausschneiden des entsprechenden Feldes gekennzeichnet werden. Bei dem Baer muss der tag am Schaedel befestigt werden. Wir schnitten ein Loch durch die Unterseite des Unterkiefers und befestigten den tag mit einem Kabelbinder.
Es ist uebrigens auch legal, einen Baeren zu erschiessen, wenn er auf dem Grundstueck herumwuetet und sich nicht vertreiben laesst. Dann muss man allerdings sofort die Jagdbehoerde informieren, die dann vor Ort kommt, Fragen stellt und den Baeren einkassiert. Da Tyrel aber noch zwei Schwarzbaer tags fuer diese Saison hat, mussten wir diesen Weg nicht gehen.
Dann stellte sich die Frage nach dem weiteren Vorgehen. Unser Freund James erklaerte sich nach einem kurzen Telefonat bereit, dass wir den Baeren bei ihm verarbeiten koennen. Zum einen besitzt James Tische aus Sperrholzplatten, die schnell mit Planen bestueckt werden koennen und so einfach zu reinigen sind. Und zum anderen hat er Elektrizitaet und ausserdem eine fast leere Tiefkuehltruhe, die spaeter noch wichtig wird.
Also entschieden wir uns, den ganzen Baeren zu James zu verfrachten und dann bei ihm nach kurzer Autofahrt mit dem Haeuten und Ausweiden zu beginnen. Wie transportiert man aber einen Baeren? Zwar haben wir einen Truck aber so einfach auf der Ladeflaeche ist leicht pietaetlos. Also ab mit Meister Petz in eine grosse Plastikbox, in der sonst mein Daunenschlafsack entspannt.

Der Baer passt wirklich gut in die ca. 120 cm lange Plastikbox!
Gut zu erkennen ist die Einschussstelle am Baeren, direkt hinter dem Schulterblatt und ein wenig tiefer. Beim Ausweiden stellte sich heraus, dass das Herz komplett zerfetzt wurde. Das erklaert auch, warum der Baer keinen Ton mehr von sich gegeben hat und so schnell zusammenbrach. Waere er eines natuerlichen Todes gestorben, haette er wahrscheinlich laenger leiden muessen.
Bei James angekommen machten wir uns dann auch gleich ans Haeuten und Ausweiden. Es ist wichtig, dass das schnell geschieht, damit das Fleisch kuehlen kann und nicht verdirbt. Ausserdem weiss man nicht genau, ob man vielleicht Darm/ Magen/ Galle getroffen hat. In dem Fall moechte man die Kontaminationszeit auch so kurz wie moeglich halten und das Fleisch gut spuelen.
In unserem Fall war bis auf Herz und Lungen aber noch alles intakt. Nach dem Haeuten oeffnet man also die Bauchdecke und entfernt alle Organe. Anschliessend geht es ans quartern, also das Entfernen der Vorder- und Hinterbeine vom Rumpf. Wenn man damit fertig ist, ist der erste Teil der Arbeit geschafft und man kann erstmal durchatmen. Viele Leute haengen die Fleischstuecke fuer einige Zeit, um sie angeblich zarter zu machen. Wir haben eine kurze Pause eingelegt (immerhin hat Haeuten, Ausweiden und quartern 2,5 Stunden mit zwei Personen gedauert) und sind dann zum naechsten Teil gestartet.
Der Baer, noch im Ganzen, mit befestigtem tag am Unterkiefer.
Nach 2,5 Stunden Arbeit kann sich das Ergebnis schon sehen lassen. Im Hintergrund befindet sich das Fell (noch mit Schaedel drin). Vor dem Fell liegt der Rumpf, rechts davor das brisket (Bruststueck) und dann noch die vier quarter.
Zum Fleisch schneiden und verpacken sind wir in die Kueche umgezogen. Es gab dort naemlich besseres Licht sowie einen warmen Ofen. 🙂
Ich schnappte mir also einen hind quarter (Hinterbein), legte ihn vor mir auf das Schneidebrett, nahm ein Messer und…. blickte fragend auf. Wie schneidet man das denn jetzt, damit was Vernuenftiges bei herauskommt?! Die Antwort von Tyrel und James war: „Egal. Es gibt kein richtig oder falsch, das ist alles Fleisch. Wenn du ein Steak essen willst, schneide ein Steak. Sonst schneide ein paar Muskeln zusammen raus und mach einen Braten draus. Wenn du Sehnen und sonstiges Gewebe herausschneidest, ist es gut. Wenn das nicht geht, weil es sonst zu klein wird, kein Problem. Dann koch es einfach sehr langsam und lange.“
Nach dieser Devise ging es dann zugange und Paeckchen fuer Paeckchen wurde verpackt und landete in der Gefriertruhe.
Auf dem Schneidetisch finden sich schon einige Fleischstuecke, ausgeloeste Knochen und eine Schuessel, die mit kleinen Suppenfleischstueckchen gefuellt wird.
Schon verpackt und fertig fuer die Tiefkuehltruhe. Alle Paeckchen werden mit dem Inhalt beschriftet. BB 05/17 steht fuer black bear (Schwarzbaer) Mai 2017. Es gibt HQ hind quarter pieces (Hinterbein Stuecke), Ribs (Rippen), Backstrap (der zarte Fleischstrang links und rechts neben der Wirbelsaeule), hind leg with bone (unterer Teil vom Hinterbein mit Knochen) und neck roast (Nackenbraten)
Als alles verstaut war, waren wir beschaeftigt mit Aufraeumen und Abwaschen. Knochen, Gedaerme und gebrauchte Planen und Tuecher wanderten in den Muell und wurden entsorgt. Lediglich die Gallenblase haben wir bewahrt und zum Trocknen aufgehaengt. James ist mit einer Medizinfrau befreundet, die aus Baerengallenpulver Medizin herstellt. Der Baerenkopf musste noch aus dem Fell geloest werden und wieder mit dem tag versehen, damit alles seine Richtigkeit hat. Das Zerlegen und Aufraeumen dauerte nochmals 3,5 Stunden, sodass wir nach 6 Stunden mit allem fertig waren und jetzt ca. 25 Kilo Baerenfleisch in der Tiefkuehltruhe liegen haben.
Waehrend wir mit den letzten Aufraeumarbeiten beschaeftigt waren, briet James Teile vom backstrap (heisst anscheinend Lachs auf deutsch) zusammen mit Zwiebeln und Paprika an. Erschopeft aber gluecklich liessen wir uns das erste Baerengericht zusammen mit Kaesemacaroni schmecken.

Das Baerenfleisch ist optisch nicht von Rindfleisch zu unterscheiden. Wenn man es nicht weiss, wahrscheinlich auch geschmacklich nicht.
Der geneigte Leser fragt sich jetzt wahrscheinlich „Wie schmeckt Baerenfleisch?“ Also dieser Schwarzbaer schmeckt, wie ich finde, aehnlich wie Rindfleisch. Ein bisschen wilder, ein bisschen suesser aber nicht total anders. Bei Schwarzbaeren gibt es aber anscheinend sehr grosse Unterschiede im Geschmack des Fleisches. Im Fruehjahr schmecken sie wohl alle ganz gut. Aber im Herbst kommt es sehr darauf an, womit sie sich denn ihren Winterspeck angefuttert haben. War der Baer in den Bergen unterwegs und bestand seine Diaet groesstenteils aus Beeren, ist das Fleisch geschmacklich ausgezeichnet. Stammt der Baer aber von der Kueste oder hat er sich viel an Fluessen aufgehalten, kann das Fett und somit auch das Fleisch einen sehr tranigen, fischigen Geschmack annehmen. Auf jeden Fall sollte man Baerenfleisch aber vor dem Verzehr komplett durchgaren, da Baeren genau wie Schweine von Trichinen (Fadenwuermer) befallen sein koennen.
Es ist uebrigens bei Baeren nicht vorgeschrieben, das Fleisch zu verwerten, so wie es bei Hirsch, Elch, Reh, Bison und Karibou beispielsweise zwingend notwendig ist. Man darf nur das Fell samt Klauen und den Schaedel nicht verkommen lassen.
Bis zum 15ten Tag des Folgemonats muss man mit dem Baerenschaedel und dem daran befestigten tag zur Jagdbehoerde gehen und da den Abschuss vermelden. Wer moechte, kann fuer weitere Studien noch ein Stueckchen Fell zur Verfuegung stellen, sowie den genauen Abschussort auf einer Karte zeigen.
Das Fell kann man entweder selbst schaben um es vom Fett zu befreien und dann salzen und aufspannen oder es aber zum Gerber geben. Durch den Prozess beim Gerber bleibt die Haut geschmeidig und flexibel wie ein gekauftes Leder, beim Salzen wird es hart.
Bislang ruhen Schaedel und Fell in Muellsacken in der Gefriertruhe und warten auf unseren naechsten freien Tag unter der Woche, damit wir die Sachen erledigen koennen. Wenn alles gefroren ist, wird ja bekanntlich nichts schlecht. 🙂
Wenn ich zurueckblicke, finde ich bemerkenswert, dass ich keine Angst hatte. Klar, ich war aufgeregt und hatte Herzklopfen, es war doch alles so spannend. Aber es ist nicht so, dass ich mich jetzt fuerchte, vor die Tuer zu gehen. Ich wohne halt im Baerenland und es kann ein Baer vorbeikommen. Solange man sich dessen bewusst ist und nicht zum Beispiel Lebensmittel mit ins Zelt nimmt, ist die Gefahr aber deutlich geringer als in Deutschland in ein Kraftfahrzeug zu steigen.
Nach der ganzen Aufregung habe ich mir uebrigens mal wieder ein Eis aus meinem Lieblings Eisladen gegoennt.

Herzhaft beisse ich in ein riesiges Sandwich aus blauer Eiscreme und zwei Keksen mit Schokostueckchen. Das Blau des Eises unterstreicht dabei meinen Sonnenbrand der Farmarbeit.
Blaues Eis schmeckt in Kanada uebrigens weder nach Vanille, Kaugummi, Himmel oder Schlumpf. Hier ist allen klar, dass Vanille cremefarben und Kaugummi rosa ist… und blau? Ganz klar Zuckerwattegeschmack! „Wie schmeckt denn bitte Zuckerwatte? Doch nur total suess, oder?“ fragte ich mich gleich. Aber nein, das blaue Eis zwischen den Keksen verwandelte sich in meinem Mund an eine Erinnerung an Rummel und Jahrmarkt… Stimmt, so schmeckt also Zuckerwatte. 🙂