In letzter Zeit habe ich weder Zeit noch Muße am Blog zu schreiben. Und je länger die Zeit seit dem letzten Beitrag zurückliegt, desto höher die Schwelle, die es zu überwinden scheint.
Warum also nicht einfach schreiben, was kommt?
Früh morgens am Wochenende, wenn es draußen noch zappenduster ist und der Holzofen knistert? Sozusagen jetzt.
Sonnenaufgang bei -46 °C Anfang des Monats
Seit Mitte August letzten Jahres treibe ich regelmäßig Sport. Ich war ziemlich verzweifelt und stark gebeutelt von den heftigen Rückenschmerzen, die mich seit April begleiteten. Bewegung ist ja angeblich gut, aber welche und wie viel davon? Schlimmer werden möchte ich es auf keinen Fall! Und meine Erfahrung und mein Wissen auf dem Gebiet Sport strebt gegen Null, abgesehen von „je mehr du läufst, desto länger kannst du laufen“.
Außerdem war ich nach meinem Berglauf so neugierig geworden. Wenn ich das mit krassen Rückenschmerzen und wenig Training schaffe, was ist dann ohne Schmerzen und mit vernünftigem Training möglich?
Ich fand es war Zeit, mich in Expertenhände zu begeben und bekam eine Trainerin von meiner Arbeitskollegin empfohlen. Mit dieser Trainerin traf ich mich zu einer Bewegungsanalyse. Sie filmte mich beim Laufen, bei Kniebeugen und ähnlichen Übungen. Nach jeder Übung schaute sie das Video zusammen mit mir an und kommentierte, was sie sah.
„Guck mal, bei dieser Übung ist dein rechtes Knie nicht stabil, siehst du wie es nach innen wandert? Mein Verdacht ist, dass deine Gluteusmuskulatur hier nicht aktiviert. Wir machen eine weitere Übung, um den Verdacht zu bestätigen.“
Auf einmal konnte ich verstehen, was in meinem Körper passiert, was er wie kompensiert und warum es dann weh tut.
Nach der Analyse habe ich entschieden, mit meiner Trainerin weiter zu arbeiten. Das läuft bei ihr so, dass sie einen fünfwöchigen Trainingsplan für mich erstellt, ich den so gut es geht nachturne und nach Woche 4 ihr ausgefüllt zurück schicke, woraufhin sie in Woche 5 die nächsten fünf Wochen zusammenbraut.
Preislich hält sich das auch sehr im Rahmen mit umgerechnet 56€ pro Plan. Da würde ich wahrscheinlich mehr zahlen, wenn ich zum Friseur gehen würde. Ich bin mir aber nicht sicher, da ich 2011 das letzte Mal bei einem Friseur war.
Ich bin wirklich verblüfft, wie sehr der regelmäßige Sport meine Lebensqualität verbessert hat. Ja, ich habe mehr Energie, bessere Laune, bin ausgeglichener. Am besten gefällt mir allerdings, dass der regelmäßige Sport eine Art Struktur in meinem Alltag geformt hat, an der ich mich entlang hangeln kann, wenn mich normalerweise etwas aus der Bahn geworfen hätte. Schlechte Nachrichten, Stress, Krankheiten, Tod, das bleibt alles negativ. Aber wenn ich diese Gefühle mit mir mitnehme auf meinen nächsten Lauf oder zu meinen nächsten Kraftübungen, dann sind sie anschließend nicht mehr so allumfassend und erdrückend. Denn ich bin lebendig, das zeigt mir mein Körper ganz deutlich durch den leichten Muskelkater.
Ich bin lebendig, ich bewege mich. Das heißt auch, dass ich nicht gefangen sein kann in meinen Gedanken, in dieser Situation. Wo Leben ist, wo Bewegung ist, da gibt es auch immer Hoffnung und Lebendigkeit.
Wahrscheinlich werde ich nie eine Sportskanone werden, ich bin einfach nicht sehr talentiert oder habe mein Talent in Sport noch nicht finden können. Aber ich kann begreifen, was es mit mir macht, Sport zu treiben, das Potenzial der Bewegung. Da macht es keinen Unterschied, ob ich es jemals schaffen werde, einen echten Liegestütz zu machen oder nicht. Oder wie viele Stunden am Stück ich irgendwann laufe.
Sport im Alltag bedeutet für mich Resilienz, gestärkte Widerstandskraft der Seele. Es bedeutet für mich Selbstfürsorge. Und jedes Mal ein bisschen Stolz, den inneren Schweinehund zu zähmen.
Ich wünsche auch dir, dass du etwas in deinem Leben hast oder findest, was dich zum Schweinehundbändiger macht. 🙂
Eigentlich ist der Blog ja dazu da, Familie und Freunde auf den neusten Stand zu bringen ohne das Gleiche in zig Einzelemails zu schreiben.
Doch wann ist etwas Privates zu privat um es auf einen oeffentlichen Blog zu stellen?
Ich schreibe jetzt einfach, deaktiviere aber die Kommentare. Die Allermeisten, die das hier lesen, wuenschen mir alles Gute, das weiss ich.
Was ist los?
Meine Schilddruese ist im Ungleichgewicht. Genauer gesagt ist es mein Koerper, der Antikoerper produziert, die an Rezeptoren an der Schilddruese andocken. Die somit gekitzelte Schilddruese nimmt das zum Anlass, ueberaus grosszuegig Hormone zu entsenden. Schilddruesenhormone sind fuer Prozesse wie Kreislauf zustaendig. Zu viel Hormone, zu viel Kreislauf, superhoher Puls, Schwitzen, Unruhe. Die meisten Menschen nehmen grundlos Gewicht ab, bei mir trifft das nicht zu. Na toll.
In Deutschland wird diese Autoimmunstoerung meist als Morbus Basedow bezeichnet. Finde ich jedoch doof. Niemand weiss so recht, ob das W jetzt stumm ist oder nicht. Also die englische und internationale Bezeichnung: Graves‘ disease. Hat nichts mit Graebern zu tun, ist wie Basedo(w) ein Name, klingt aber besser in meinen vom Tinnitus beglueckten Ohren. Fast wie eine Metalband!
Ich habe bereits eine Endokrinologin zugeteilt bekommen, die mir Schilddruesenhemmer verschrieben hat. Die habe ich jedoch nicht gut vetragen, was zum Absetzen und erneuten Aderlass zwecks Laboruntersuchung fuehrte. Die Blutkoerperchen waren aber alle vorhanden und winkten gut gelaunt ins Mikroskop.
Jetzt heisst es ein bisschen warten und dann den naechsten Versuch starten. Und dann, mal gucken.
Mir geht es nicht viel schlechter als sonst – ich hatte schon einen superhohen Puls seit dem erstmaligen Messen in der 9ten Klasse im Biounterricht und stehe generell unter Strom. Jetzt kamen noch ein paar weitere Symptome dazu, jedoch ist alles aushaltbar.
Es ist das Warten, was nervt. Und die Tatsache, dass mein Koerper dazu getriggert wird, sich selbst zu schaden.
Es fuehlt sich so an wie zu Zeiten meiner Kindheit, als mein grosser Bruder mich mit meinen eigenen Haenden verpruegelte und dabei schrie „Hoer auf dich selbst zu schlagen!!“. xD
Nach Recherche in meinem Umfeld scheint es sich dabei uebrigens um ein internationales Phaenomen zu handeln. Falls keine koerperlich ueberlegenen Geschwister in der Familie vorhanden sind, uebernehmen Vaeter scheinbar haeufig die Rolle, um dieses fast niedlich anmutende Trauma in die naechste Generation zu ueberfuehren. xD
Jedenfalls ist es okay, auch mal weniger gesund zu sein. Ich kann gerne so krank werden, wie es sein muss, damit es mir danach besser geht. Angepeilt fuer die „Es geht mir so gut wie noch nie“-Phase habe ich Mitte April 2022. Keine drei Monate mehr! 🙂
Ansonsten läuft es ganz okay. Nach einer fiesen Kältewelle mit einigen Tagen mit bis zu -46 °C war es Dienstag sommerlich warm mit bis zu +2 °C. Heute startete der Tag dann mit angemesseneren -16 °C bei mir am Haus.
Gestern dann, am zweitkuerzesten Tag des Jahres, habe ich mich nochmal aufgemacht. Zwar nicht zur malerischen Aussicht im Nirgendwo sondern vom Industrie- ins Wohngebiet und wieder zurueck.
Trotzdem war ich draussen und trotzdem war es schoen.
Wobei ich nicht viele Leute kenne, die einen Lauf bei -26 °C als schoen bezeichnen wuerden. Aber vereinzelt gibt es sie, die Gleichgesinnten.
Landschaft in weiss-blau-flieder.
„Wie gut, dass ich laufe.“, denke ich mir, waehrend ich mir meinen Gesichtsschutz mit behandschuhten Fingern ueber die Nase ziehe. „Anstonsten wuerde mir noch kalt werden!“
Der fliederfarbende Streifen durchzieht die blaue Stunde und sinkt tiefer und tiefer, immer dem Horizont entgegen.
Mond, Strassenlaternen, Winterfarben.
Ich laufe den Berg hinauf. Einerseits um meine Kondition zu verbessern, andererseits um meiner Freundin, die auf dem Berg wohnt, etwas zu ueberreichen.
Dort angekommen verquatsche ich mich ein bisschen im warmen Haus. Die Eiskristalle auf meiner Kleidung schmelzen, machen nass und kalt. Keine gute Kombination bei dem Wetter, aber ich kann mich ganz gut einschaetzen und weiss, dass ich den Berg nur einmal runter- und wieder hinauflaufen muss um wieder Betriebstemperatur erreicht zu haben.
Das Morgenflieder hinterlegt schon die Berge am Horizont.Irgendwann verwandelt sich das Flieder in Terracotta.
Dann wird es hell im Osten.
Direkt angestrahlte Wolken leuchten bevor die Sonne strahlt.
Schliesslich kommt meine liebste Winterdekoration zum Vorschein.
Die ersten, roten Sonnenstrahlen lassen Fichtenwipfel erstrahlen.
Ich muss noch zwei weitere Kilometer laufen, bis auch ich von den Strahlen erfasst werde.
Winterfarben: Weiss, blau, gold, orangerot.
Kurz vor 12 Uhr mittags zaubert mir die Morgensonne einen rosigen Teint aufs Gesicht.
Ich, frostig-rosig mit Kinn-Eiszapfen.
Wieder im Buero angekommen frage ich meine Kollegin, was ihre Plaene fuer die Feiertage sind.
„Mich entspannen und zunehmen.“
Das finde ich genial – die Kombination scheint erreichbar und am Ende hadert man nicht mit den kneifenden Hosen. Es war schliesslich so geplant!
Wenn ich Besuch von Freunden aus Deutschland hatte, fragte ich regelmäßig, ob der Besuch einen Gastbeitrag aus deren Perspektive verfassen will.
Jetzt hatte ich schon länger keinen Besuch, aber meine Freundin und Nachbarin Berenike beschloss, in ihr Heimatland Deutschland zurückzukehren. Sie hat tatsächlich zugestimmt, einen Beitrag zu verfassen. Ganz lieben Dank dafür!
Wir hatten eine schöne Zeit gemeinsam im Yukon, seht selbst wie wir uns über meinen Monster-Osterzopf gefreut haben.
Berenike, ein monströses Hefegebäck und ich.
Während ich weiterhin sehr glücklich bin, hier zu sein, führte sie ihr nächster Schritt zurück über den Atlantik. Ihre Entscheidung finde ich sehr mutig und ich wünsche ihr vom Herzen alles Gute.
Am besten lest ihr aus ihrer Feder:
Seit genau vier Wochen bin ich nun wieder in Deutschland, nach dreieinhalb Jahren in denen mein Leben im Yukon statt fand. Dort lebte ich auf einem benachbarten Grundstück von Luisa, ebenfalls im Tiny House gemeinsam mit Partner, Hund und Ziege.
Das letzte Jahr über merkte ich, wie sehr ich meine Familie in Deutschland vermisse, gerade da meine Schwester einen Sohn bekam und meine Verwandten dadurch noch mehr zusammen wuchsen. Ich hatte richtiges Heimweh (es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich dieses Gefühl so deutlich spürte, davor war ich immer die „Nestflüchterin“ und war schon als junges Kind viel unterwegs). Durch den Corona Virus und die Reiseeinschränkungen war es unabsehbar wann ich (wie so viele andere) wieder in die Heimat reisen kann. Im August war dann ein Besuch möglich, doch das Heimweh wurde dadurch nicht gestillt, sondern zu meinem Erschrecken gestärkt. Zurück in Kanada gab mein Herz mir ziemlich deutlich den Weg vor, den es zu gehen galt und trotz sehr schmerzlichen Abschieds ging es wenige Wochen später zurück nach Deutschland- dieses Mal mit gepackten Koffern.
Im Flieger über nordwestamerikanischen Bergketten.
Seit dem Moment in dem ich in meinem Geburtsort ankam, empfingen mich offene Arme, Herzen und Haustüren. Es erfüllte mein Herz mit tiefer Dankbarkeit und Liebe zu sehen, wie viele Menschen sich freuen, dass ich wieder in der Nähe lebe. Allen voran meine drei Patenkinder, mit denen ich nun viel Zeit verbringen darf, nachdem ich drei Jahre in ihren kurzen Leben verpasst hatte.
Entspannen im Kajak.
Ich bin sehr dankbar für die wundervolle Lebenszeit, die ich im Yukon verbracht habe und für die tiefen Verbindungen zu Menschen, Tieren und der atemberaubenden Landschaft.
Reiten im deutschen Wald.
Falls ihr euch irgendwo hingezogen fühlt, sei es ein Land, eine Person, ein Abenteuer, ist mein größter Rat einen Schritt darauf zu zugehen. Ich habe gelernt, dass meine Intuition der beste Kompass ist und mein Gefühl mir ziemlich genau sagt, was nun dran ist.
Essbare Blueten in Garten: Kornblumen, Veilchen, Stiefmuetterchen, Katzenminze.Mein Rucola blueht und ich finde die weissen Blueten so wunderschoen.Reiche Ernte: laenglich-blaue haskap berries oder Honigbeeren.Selbst die Bergziege im Tiergehege zieht das Winterfell aus.Malen mit Filzstiften: Der Takhini River.Mein Gemuesegarten samt Regenbogen.Im Ueberfluss wachsende highbush cranberries, eine Art des Schneeballs.Auf der Hauptstrasse in Whitehorse: Fussgaengerueberweg in deutschen Nationalfarben.Ich versuche mich an Stand Up Paddling – Paddeln im Stehen.Arma, guter Laune beim Spaziergang.Senfblueten in meinem Feld.Fireweed (Weidenroeschen) in meinem Haferfeld.Sahne schlagen ohne Strom mit Akkubohrmaschine.Das Ergebnis: Haskap-Mohn-Eiscreme, selbstgemacht.Selbstgegrillte Pizza mit Salami, Zwiebeln, Kaese, eingelegten Gurken, eingelegten Pfefferschoten und Dill.Ich, bemehlt, beim Pizza backen.Arma und ich machen Pause vom Wandern auf einer Steilwand.Lohnende Aussicht mit Berg und Tal.
Schliesslich war es soweit, der Tag meines Laufes.
Da 2020 der Sommer im Yukon ausgefallen ist, war es mit 27 °C der heisseste Tag in zwei Jahren. Dafuer konnte niemand trainieren, man musste es einfach so hinnehmen.
Am Vortag des Laufes hiess es Startnummern abholen und zwei Haftungsausschluesse unterzeichnen. Anschliessend versuchen zu schlafen.
Tyrel’s Wecker klingelt. Sein Startschuss ist um 6 Uhr morgens, da er den ersten Teil des Laufes uebernimmt. Ich raufe mir die Haare, waehrend er schliesslich um 5:38 Uhr das Haus verlaesst und noch ne ganze Ecke zu fahren hat. Aber auch nach 6 Uhr bekomme ich weder Nachricht noch Anruf von ihm, daher gehe ich davon aus, dass er gerade noch rechtzeitig angekommen ist.
An Schlaf ist fuer mich nicht mehr zu denken. Ich mache langsam, esse mein Standardfruehstueck, das mir noch nie quer im Magen lag: Haferflocken, gefrorene Heidelbeeren, Mandelmuss, Konfituere, 85 %ige Schokolade, gehobelte Mandeln, Apfel, heisses Wasser. Eigentlich gehoert noch kaltgepresstes Oel dazu, aber darauf verzichte ich heute. Seit dem Aufwachen trinke ich Wasser mit Elektrolyttabletten. Bei 27 °C werde ich bestimmt viel schwitzen.
Ich kontrolliere nochmal, ob ich auch alle vorgeschriebenen Gepaeckstuecke mitfuehre und packe mir grosszuegig Essen ein. Die 1,5 Liter Wasser, die ich mitfuehre, enthalten auch Elektrolyte.
Ab ins Auto, zum Staffelwechselpunkt.
Mein Handy klingelt, es ist Tyrel. Er musste aus dem Rennen ausscheiden. Nach dem ersten halsbrecherischen Anstieg ging es nach Kilometer 17 genauso steil wieder bergab. Da entschieden sich seine Beine, den Dienst zu verweigern und nicht mehr mit dem Krampfen aufzuhoeren. Tyrel hievte sich zurueck bergauf zur letzten Verpflegungsstation und wartete auf den Ruecktransport zum Staffelwechselpunkt.
Ich verspuere ein bisschen Genugtuung und Erleichterung. Erleichterung, weil ich meinen Teil noch laufen kann, aber ausserhalb der Wertung und ausserhalb jeglichen Drucks. Genugtuung, weil Tyrel den Lauf nicht richtig ernst nahm und jetzt die Quittung dafuer bekam. Ja, er ist vom Typen her sehr sportlich. Aber wer fuer diese Art von Lauf nicht trainieren und auch waehrend des Laufs Kalorien aufnehmen moechte, der bekommt halt die Quittung dafuer. Trotzdem freue ich mich, dass es fuer ihn ein positives Erlebnis fuer ihn war und es Spass gemacht hat, obwohl er dem ganzen sehr skeptisch gegenueber stand.
Kurz nach 10 Uhr komme ich am Zielort an und schildere die Situation dem Veranstalter. Ja, ich kann meinen Teil noch laufen und ja, ich brauche nicht bis 13:30 h warten. Das ist die Zeit des Massenstarts fuer den zweiten Teil, fuer alle Teilnehmer, deren Staffelpartner es nicht rechtzeitig ins Ziel geschafft hat. Um 11:30 h wuerde eine Laeuferin den zweiten Teil alleine starten, da ihr Staffelpartner krankheitsbedingt den ersten Teil nicht antreten konnte. Bis dahin klatsche ich den eintrudelnden Laeufern Beifall.
Ich, Startnummer 164, vor dem Start.
Gegen 11 Uhr verschwinde ich zum Pinkeln ins Gebuesch und kurz darauf trifft Tyrel staksenderweise ein. Leider hat er seinen Zeitstab, mit dem bei jeder Verpflegungsstation die Zeit festgehalten wird, einem Helfer gegeben, der nicht wieder auftaucht. Um 11:15 h bekomme ich das Okay, dass ich auch ohne Zeitstab starten darf, ist ja eh ausserhalb der Wertung. Die partnerlose Laeuferin steht schon bereit. Ob wir schon jetzt starten wollen? Na klar!
Schnell druecke ich Tyrel meine Wasserflasche in den Hand und einen Kuss auf die Lippen trotz seiner Abneigung gegenueber oeffentlichem Zurschaustellen von Liebkosungen, starte die Strecke auf meiner GPS Uhr und duese los.
Ich auf den ersten Schritten des Laufes.Los geht’s fuer mich mit unerwartetem Elan.
Die ersten 10 Kilometer sind mal steil, mal eben, mal schlammig, aber laufbar. Mir geht es prima, ich kann kaum fassen, dass ich endlich das Rennen laufe, fuer das ich mich im Dezember 2019 eingeschrieben habe! Der erste Teilabschnitt endet mit einer Flussdurchquerung, die Abkuehlung ist wirklich noetig. Auch meine Kopfbedeckung tunke ich in das kuehle Schmelzwasser. Ein Fotograf faengt mich mit seiner grossen Linse ein, ich sehe sein oder ihr Gesicht gar nicht.
Nach der Fluessquerung faellt mir ein, dass ich eigentlich eine Verpflegungsstation davor erwartet hatte aber keine gesehen habe. Sollte ich zurueck gehen? Nein, ich habe noch ausreichend zu essen und trinken.
Anschliessend geht es bergauf, bergauf, bergauf, bis ich mich oberhalb der Baumgrenze auf meinem lieben Hochplateau wiederfinde.
Mein Weg zwischen Weidenbueschen, im Hintergrund Berspitzen.
Ich liebe diese Gegend, trotz der Anstrengung strahle ich weiterhin.
Strahlefrau auf Hochplateau.
Trotz der schoenen Aussicht ist es unglaublich heiss ohne Schatten, der Anstieg zieht sich ewig und ich laufe in einer Wolke Muecken und auch Kriebelmuecken, den black flies. Der Temperatursensor meiner Uhr zeigt auf dieser Strecke 37 °C an. Ich mache langsam, teile mit Kraefte und Wasser ein und schiesse dann und wann ein Bild.
Alpine Seen und schneebefleckte Berge.Die Erschoepfung manifestiert sich in meinen zweifelnden Augenbrauen.
Schliesslich laufe ich ohne Weg in der hochalpinen Landschaft. Zum Glueck ueberholen mich hier relativ viele Laeufer, die den Weg besser kennen als ich. Die pinken oder orangenen Faehnchen der Wegmarkierung sind nicht immer einfach zu erkennen.
Pinkes Faehnchen im Vordergrund, schnellerer Laeufer im Hintergrund.
Endlich, endlich ist der erste Berg ueberwunden und es geht bergab ueber einen beliebten Pferde- und Wanderweg. Leider bin ich nicht allzu trittsicher auf diesem steilen, ausgewaschenen, steinigen Weg und auch viel zu ueberhitzt. Ich konzentriere mich so gut es geht und laufe so schnell es eben geht, was immer noch ziemlich langsam ist.
Am Ende des Abstieges endlich – die Verpflegungsstation. Eine liebe Helferin bittet mich, meine Kappe abzunehmen, damit sie mir eiskaltes Wasser auf den Kopf schuetten kann. Mein Gehirn zieht sich zusammen, das war wirklich noetig. Eine andere Frau fragt mich, ob sie mir eine Banane oder Mandarine schaelen soll. Ich starre sie nur wortlos an und bemuehe mich, meine Wasserflaschen auffuellen zu lassen, Elektrolyttabletten reinzuschmeissen, sie leer zu trinken und wieder aufzufuellen. Am Ende verlasse ich die Station mit zwei Flaschen Wasser/Elektrolyt und einer Flasche zuckrigem Sportgetraenk, sowie einer Banane. Ungeschaelt.
Mir ist ziemlich schlecht, daher gehe ich einfach einen Schritt nach dem anderen. Ein Mitlaeufer bei der Verpflegungsstation musste sich in einen Klappstuhl setzen und ausruhen, seine Beine haben sehr gekrampft. Meine Beine sind noch relativ beschwerdefrei und dass, obwohl meine Zehen heute morgen Zuhause noch, voellig untypisch, gekrampft haben.
Einen Schritt nach dem anderen, vorbei an Badegaesten und Familien am See. Einige jubeln mir zu. Eine junge Mutter fragt, wie es mir geht. „Mir ist speiuebel!“ Sie raet mir, meine Kappe doch nochmal in den See zu tunken, dem Rat folge ich. Obwohl die Schotterstrasse breit ist und nur leicht bergauf geht, gehe ich schnell anstatt zu laufen. Ich kenne das kommende Teilstueck und das ist haarstraeubend steil bergauf! Vor dem Anstieg erhalte ich die Moeglichkeit, mich mit Insektenspray einzunebeln. Eigentlich bin ich in der Hinsicht relativ unempfindlich, doch der fehlende Wind treibt einen in den Wahnsinn. Alle paar Sekunden fliegt mir eine Kriebelmuecke ins Ohr oder setzt zum Kamikazeflug in meine Atemwege an. Das Insektenspray klebt an meiner Haut, aber haelt die weniger mutigen Exemplare auf ein paar Zentimeter Abstand.
Es geht bergauf. So steil, dass ich dankbar bin, wenn ich mal wieder ueberholt werde. So muss ich mir auf dem schmalen Weg eine Moeglichkeit suchen, sicher Platz zu machen und dann zu warten, bis ich ueberholt bin. Dann wird es so steil, dass ich auch ohne Ueberholer Halt machen muss zum Verschnaufen. Nichts geht mehr. Aber die Aussicht auf den See, dessen Wasser laengst wieder aus meiner Kappe verdampft ist, die ist schoen.
Verschnaufpause mit Seeblick.
An mancher Stelle muss ich auf allen Vieren klettern um voranzukommen. Ein Schritt nach dem anderen, ein Handgriff nach dem anderen.
Steilwand und gleichzeitig mein Weg.
Fuer diesen Kilometer Anstieg brauche ich 35 Minuten!
Irgendwann flacht die Strecke ab, verlaeuft aber wieder auf unwegsamen Bergruecken. Langsam kennt man den Drill.
Aussicht auf Whitehorse
Die kommende Verpflegungsstation wird beschallt mit 80er Musik und bedient von zwei gut gelaunten Frauen im Bikini. Endlich kann ich meine Bananenschale loswerden, die ich den ganzen Anstieg hochgetragen habe und frage freundlich danach, ob mir eine Mandarine gepellt werden kann. „Natuerlich!“
Die schlimmsten Anstiege liegen hinter mir, doch vor dem Abstieg heisst es erstmal eine Runde auf einem Bergkamm drehen. Meine Zehen krampfen bei jedem Schritt und versuchen sich zu kruemmen. Ich bin fertig mit der Welt und alles tut weh. Laufen geht beim besten Willen nicht. Also gehe ich schnell. Es liegen noch 27 Kilometer vor mir. Wie ich die bewaeltigen soll, keine Ahnung! Meine schlaue Uhr zeigt mir an, dass ich wahrscheinlich gegen 22:40 Uhr ins Ziel komme. Aber um 21 Uhr ist Ende der Veranstaltung!
Nicht denken, gehen.
Bergkamm mit erkennbarem Weg!Einfach weiter gehen, die Landschaft ist bezaubernd genug.
Eine Oase und Ueberbleibsel des schneereichen Winters – auf der Nordseite des Bergkamms trotzt eine meterhohe Schneebank den sommerlichen Temperaturen. Ich stopfe so viel ich kann in meine Kappe und reibe meine Arme ein, dann geht es weiter.
Schneebank auf dem Weg.
Die Schlaufe ist gelaufen, ich fuelle meinen Wasservorrat bei den Bikinifrauen auf. Mittlerweile sind sie bei den 90ern angekommen, die Spice Girls plaerren aus den Laufsprechern. Weiter geht’s.
Es geht eine Weile auf einer losen Schotterstrasse bergab. Der Schotter ist zu lose fuer mich zum Laufen und selbst wenn es sich um Ashalt handeln wuerde, meine Zehen krampfen so sehr, dass ich mir fast eine Bergaufstrecke wuensche. Dann wandelt es sich zur Grasebene, sehr gut.
Das Laecheln sitzt nicht mehr so recht, doch ich bewege mich noch vorwaerts.
Ein Blick auf das Hoehenprofil der Strecke in meiner Uhr zeigt, dass der wirkliche Abstieg bevorsteht.
Der wirkliche Abstieg kommt und er ist grauenhaft. Schlammig, wurzelig, ausgewaschen, steil, direkt am Abhang. Nicht nur meine Zehen krampfen – alle Beinmuskeln stimmen in die Krampfsymphonie ein. Meine Fuesse werden wund, denn sie muessen mein Koerpergewicht immer und immer wieder gegen die Schwerkraft stemmen in nassen, schlammigen Schuhen und Socken.
Stehenbleiben ist keine Option. Wer soll mich hier denn runtertragen? Schritt fuer Schritt, Krampf fuer Krampf geht es weiter. Fotos mache ich keine, denn meine Konzentration ist zu 100% gefordert.
So geht es weiter und weiter, ich weiss nicht wie lange. Alles verschwimmt, es gibt keinen Start und kein Ziel mehr, keine Gruende. Es gibt einzig und allein den naechsten Schritt.
Dann wird der Weg wieder breiter und flacher, dafuer aber moorig.
Schlamm und Wasser, da bleibt kein Fuss trocken.
Nur noch ein paar Kilometer zur naechsten und auch letzten Verpflegungsstation, da wird der Weg wieder zu einer steilen Mountainbikestrecke. Ploetzlich stehe ich vor einem senkrechten Abfall, ca. anderthalb Meter tief.
„ERNSTHAFT?!“, rufe ich in den Wald hinein. Ich suche mir eine Stelle am Rand, damit kein Mountainbike in mich reinbrettert und rutsche auf meinem Hintern hinab. Die Strecke geht so froehlich weiter, bis sie auf eine breite Schotterstrasse muendet.
Dies waere jetzt echt laufbar, aber meine Beine haben laengst aufgegeben. Gehen klappt, also gehe ich. Meine Uhr hat ihre Meinung bezueglich meiner Ankunftszeit geaendert. Wenn ich stramm weiterwandere, koennte ich gegen 20:40 Uhr ins Ziel kommen – 20 Minuten vor Zielschluss!!!
Zwei junge Frauen stehen am Rand der Schotterstrasse und halten ein Schild hoch. Sie sind mit ihren Mountainbikes hier her gefahren um uns Laeufer anzufeuern. Bald erkenne ich auch die Aufschrift des Schildes: Kilometer 69 der Gesamtstrecke! Ich muss lachen.
Schliesslich erreiche ich die letzte Verpflegungsstation. Die freiwilligen Helfer rufen mir zu, wie toll ich aussehe. Dabei fuehle ich, wie mich der Mut laengst verlassen habe, ich stinke und verschlammt bin. Man klatscht mir einen Gefrierbeutel mit Eis in den Nacken, fuellt meine Wasserflaschen nach Wunsch auf (zweimal Wasser mit Elektrolyten, einmal Gatorade), ich bediene mich an Wassermelone, greife mir Mueslibaellchen, Tuetchen mit Gummikram und schaele mir eine Banane. Die Schale lasse ich da. Man reicht mir ein Eis am Stiel und ich ziehe weiter.
Ich kann zwar nicht mehr, aber es waere doch wirklich witzlos, 10 Kilometer vor dem Ziel aufzugeben, nur weil man nicht mehr kann. Ich konnte schon vor 20 Kilometern nicht mehr! Ausserdem wuerde es bestimmt laenger dauern bis ich Zuhause bin, wenn ich hier bleibe. Also weiter, einfach weiter. Der Eisbeutel klebt noch im Nacken, ich disponiere ihn unter meine Muetze, damit er nicht runterfaellt.
Eisbeutel unter der Kappe, Speiseeis im Mund.
Irgendwann zwischen Kilometer 36 und 37 muss ich pinkeln. Das erste Mal seit Beginn des Laufs. Gutes Zeichen, ich bin gerade nicht dehydriert. Aber wie soll ich das anstellen im lichten Wald und mit meinen Beinen im derzeitigen Zustand?
Ich schaue mich um – niemand in Sichtweite. Ich schaffe es einen Meter neben den Weg, ziehe meine Hose runter, kralle mich an einem Baumstamm fest und erlaube mir, in eine 90 ° Hocke zu gehen. Jetzt laufen lassen statt zu laufen, willkommene Abwechslung! Und dann die Schwierigkeit – wieder hochkommen. Ich stemme, ziehe und schreie, bis ich wieder stehe. Dann geht es weiter, einfach weiter.
Die letzten 8,5 Kilometer vergehen nicht. Zum ersten Mal seit dem ersten Anstieg waer der Weg wieder laufbar fuer mich, doch ich pfeife aus dem letzten Loch. Die Uhr zeigt weiterhin 8,5 verbleibende Kilometer an und gefuehlt vergehen Stunden. Ich muss mir etwas anderes anzeigen lassen, sonst werde ich wahnsinnig. Die Navigation! Die zeigt mir an, dass ich in 1,65 Kilometern links abbiegen muss. Und dann in 1,2 Kilometern rechts. In kleinen Schritten geht es voran. Doch langsam verliere ich die Fassung.
Ich, am Ende der Bereifung angekommen.
Beine ausreichend anheben, um nicht ueber die Wurzeln zu stolpern. Bisschen bergauf, bisschen bergab, egal, einfach weiter. Wenn du stehen bleibst, dauert es laenger, bis du Zuhause bist, als wenn du einfach weiter gehst. Guck mal, der Weg ist doch schoen. So wie du eigentlich gerne laeufst.
Schmaler Waldweg, so wie ich ihn gern mag.
Und stell dir erstmal vor, wie es sich anfuehlen wird, wenn du die Bruecke siehst, die die letzten paar Hundert Meter bis zum Ziel ankuendigt.
Jedes Mal, wenn ich mir die Bruecke vorstelle, schiessen mir Traenen in die Augen. Weiter, weiter, fuer dich, fuer deine Freunde, fuer alle, die du lieb hast und die nicht mehr laufen koennen, fuer alle, die dir Glueck gewuenscht haben und an dich denken.
…
Irgendwann ended der schmale Weg, jetzt laufe ich auf einem weiten Weg, der im Winter von Langlaufskifahrern genutzt wird. Ich weiss, jetzt ist es wirklich nicht mehr weit. Ein paar junge, kraeftige Kerle spielen Diskgolf und gruessen. Einer fragt mich, wie lange ich schon gehe. „In etwa die letzten 27 Kilometer.“ „Heilige Scheisse, so ne Strecke wuerde ich mich nur tragen lassen!“
Auf den letzten Metern vor der Bruecke laeuft eine Frau mit tiefer Stimme und taetowierten Beinen an mir vorbei. ICH KANN DIE BRUECKE SEHEN und fange an zu schluchzen und zu heulen.
Ein Veranstalter steht mit Sombrero auf der Bruecke, feuert uns an und gibt unsere Startnummern per SMS an die Leute im Ziel weiter. Auf dem letzten Anstieg geht die Frau nur ein paar Meter vor mir.
Dann ruft uns der Veranstalter zu, dass wir ins Ziel einlaufen sollten.
Fuer mich ganz klar, dass das nicht geht und schon seit 27 Kilometern nicht mehr drin ist.
Doch die taetowierten Beine vor mir fangen wieder an zu laufen und die tiefe Stimme ruft mir zu: „Komm schon Maedchen, lauf – du packst das!“
Mein Koerper stellt die Laufbewegung nach.
Nein, er LAEUFT!
Ich kann es nicht glauben, da ist das Ziel und ich laufe, alle jubeln, ich komme immer naeher, Tyrel ist auch da!!
Mein Zieleinlauf. Laufend.Ich erklaere den Helfern, dass ich keinen Zeitstab habe.
Dann hab ich es geschafft. Ich bin im Ziel. Ich bin fassungslos, weiss nicht, wie ich diese wahnsinnige Strecke habe zuende bringen koennen. Und ich bin stolz und dankbar, dass mein lieber Koerper das einfach so mitgemacht hat.
Ich, angekommen.
Und so war der Lauf in Zahlen:
Laenge: 44,24 km
Hoehenmeter bergauf: 1261 m
Hoehenmeter bergab: 1479 m
Zeit: 9 h 24 min 35 sec
Durchschnittstemperatur: 29,8 °C
Durchschnittliche Herzfrequenz: 173 Schlaege pro Minute
Verbrauchte Kalorien: 4730 kcal
Anzahl der ueberholenden Laeufer: Unzaehlig
Anzahl der ueberholten Laeufer: Null
Habe ich ein Fazit? Ich weiss es gar nicht so recht.
Aber ich weiss: Ich wirklich froh um diese Erfahrung. Es hat mir in der Praxis aufgezeigt, was es heisst Mensch zu sein und was man leisten kann, wenn man wirklich will.
Mein Bergmarathon steht bevor. Oder kann man das ueberhaupt Bergmarathon nennen? Es werden 43,7 Kilometer, bergauf, bergab, teils ohne Weg, auf jeden Fall kraxelnd. Ich stelle mich darauf ein, bergauf zu gehen, Kraxelstrecken zu gehen und zu laufen, wenn mir danach ist und ich kann. Hauptsache vorwaerts. Hauptsache innerhalb der Zeitvorgabe beenden. Denn ansonsten kann ich mir gut vorstellen, dass ich mich einfach wieder anmelde, fuer naechstes Jahr.
Unerledigtes sollte man zu Ende bringen, stimmt mein Hirn zu.
Das Ausspaehen meiner Laufstrecke einen Monat vor Startschuss hat mich nicht unbedingt zuversichtlich gestimmt.
Schotter, Schnee und Schlamm.
Doch immerhin konnte ich Tyrel malerisch in Szene setzen.
Ehemann auf Hochebene vor Bergen.
Kurzum: Die Strecke, die ich in knapp vier Wochen laufen werde, ist noch nicht passierbar. Zum Glueck haben wir noch etwas Zeit fuer Tauwetter. Ausserdem bin ich langsam und kann beim Lauf in etliche Fussstapfen treten, hihi.
Im hinteren Bild schneit es, im vorderen Bild schauen Arma und ich auf die naechste Schneeverwehung, die es zu ueberqueren gilt.
Trotz allem freue ich mich darauf. Darauf, in dieser zauberhaften Landschaft zu sein, die den meisten Touristen verwehrt bleibt, da zu unzugaenglich. Und ich freue mich darauf, an meine Grenzen zu gehen.
Geschlossene Schneedecke auf einer Hochebene.
Genau drei Jahre vor dem bevorstehenden Bergmarathon habe ich angefangen zu laufen. Zu dem Zweck habe ich mir eine „Couch to 5k“ App (Vom Sofa zum 5 km Lauf) heruntergeladen. Die erste Woche bestand aus drei Einheiten, die alle sehr anstrengend fuer mich waren. Zuerst fuenf Minuten schnelles Gehen, dann im Wechsel 60 Sekunden langsam laufen und 90 Sekunden gehen. Die Einheiten steigerten sich langsam, sowohl der Lauf- als auch der Gehanteil wurde laenger. Ein lustiger Zombie sagte mir stets ueber meinen Handylautsprecher, wann ich zu laufen oder zu gehen hatte.
Dann erblickte ich den Plan fuer die dritte Laufeinheit von Woche fuenf des Plans. Hier sollte ich 20 Minuten am Stueck laufen! Fuer mich schien das damals einfach unerreichbar. Fieberhaft lies ich durch Internetforen dieses Laufplans. Hat es tatsaechlich schon jemand geschafft, nach nur vier Wochen diese 20 Minuten Dauerlauf zu knacken?
Arma und ich bahnen uns den Weg durch Weiden und Weite der Tundra.
Ja es ist moeglich. Der Koerper ist vorbereitet. Auch wenn man sich es nicht zutraut, es ist moeglich. Ein Forenbeitrag behauptete sogar, wenn man es schaffte, diese 20 Minuten zu laufen, dann kann man mit Training und Zeit jede Distanz laufen, die man sich vornimmt.
Manch Langstreckenlaeufer glaubt, dass solche Rennen im Kopf und im Magen entschieden werden. Wenn die Beine krampfen und sich die Welt gegen einen vorschworen hat mit dieser unmoeglichen Aufgabe – Setzt man den naechsten Schritt?
In den Bergen gelten andere Gesetze als bei Strassenmarathons. Dabei will ich noch nicht mal von Schnee oder Baeren anfangen, die gibt es hier gratis dazu, wenn man Pech hat. Nein, es ist stimmiger fuer mich. Wenn ich in der Stadt laufe, frage ich mich, warum zum Teufel ich nicht den Bus nehme. Doch wenn ich durch Baeche und ueber Bergruecken stakse, fuehle ich mich verbunden mit der Natur und begreife mein Leben als Teil vom Ganzen. Dann macht auch der Diskomfort sinn. Er hat einem diese wunderbare Landschaft erst erschlossen. Und auch wenn wir ihm so oft wie moeglich aus dem Weg gehen, macht er doch erst Wachstum und Evolution moeglich!
Arma und die Tundra.
Ich weiss nicht, ob ich diesen Lauf beenden kann. Aber es zu versuchen, das reizt mich mehr, als die Unsicherheit abschreckt.
Ein paar Dinge hatte ich mir vorgenommen für 2021 – unter anderem wollte ich einen Töpferkurs machen. Den Punkt konnte ich schon erstaunlich schnell abhaken. Der Kurs hat stattgefunden. Zwar mit begrenzter Teilnehmerzahl, Maske und Abstand, aber besser so als gar nicht.
Nachdem man den Trick raushat, wie man sich nicht mehr vom Lehm herumschubsen lässt (Zentrieren mit roher Gewalt), macht es wirklich Spaß!
Es folgt eine Übersicht meiner persönlichen Töpfermeinung.
Nachteile:
Relativ hohe Investition von Zeit und Geld,
Rückenschmerzen und Handekzeme oft mit inbegriffen,
Matscht ohne Ende, sauber machen dauert ewig,
Findet in geschlossenen Räumen statt.
Vorteile:
Matsch,
Spaß,
Kunst,
Gefäß.
Hier ein paar Bilder meiner Kreationen, die Schlüssel dienen als Maßstab. Einiges hat den Trocknungs- oder Brennvorgang nicht überstanden. Aber für einen 7-wöchigen Kurs bin ich schon sehr zufrieden.
Drei Schalen, rund.
Zunächst versuchte ich mich an einer einfachen, kleinen Schale. Mit den zunehmenden Versuchen gelangen auch größere Schalen.
Zwei größere Schalen.
Ich erschuf zwei noch größere Schalen, die linke benutze ich fast täglich zum Essen.
Ein bauchiges Kännchen.
Ich fand, es war an der Zeit, zu töpfern, was mir so in den Sinn kommt. Zum Beispiel diese urige Kanne. Leider haben die verwendeten Glasuren ihr Eigenleben entwickelt und sind auf das Regal im Brennofen gelaufen.
Drei weitere Schalen: Gekniffen, mit Einschnitten und verdellt.
Ich fand Gefallen an ungewöhnlichen Formen, während meine Mittöpferer meist möglichst perfekte Gegenstände herstellen wollten.
Jeansbecher.
Schön finde ich auch diesen Becher in Jeansoptik. Wer hätte gedacht, dass er am Ende tatsächlich nach Jeans aussieht mit der gewählten Textur und Glasur?
Kurzum: Töpfern und Formen erschaffen macht mir Spaß. Allerdings ist es zeit- und kostenintensiv, sodass ich den Sommer über töpferfrei bleiben werde. Das Wetter ist einfach zu gut und lockt mit so viel mehr als es der Töpferkeller je könnte!
Sobald die Tage kürzer werden und der erste Schnee fällt, werden die Karten jedoch neu gemischt.
Besonders neu ist das Jahr schon gar nicht mehr – hoechste Zeit, mal wieder zu schreiben!
Es folgen einige Updates zu meinem Leben.
Huehner
Meinen fedrigen Freunden geht es gut. Auch die derzeit frostigen Temperaturen am Morgen von -36 °C bis -40 °C stecken sie gut weg. Wenn es kaelter als -30 °C ist, lasse ich sie morgens nicht aus dem Stall. Dafuer aber fahre ich in der Mittagspause nach Hause, lasse sie in den Auslauf und gebe ihnen warmes Wasser und Apfelspalten.
Icicle (vorn) und Shadow im Winterfederkleid.Fluffige Henne Brave wirkt etwas explodiert.
Nur wenn es morgens -40 °C ist, kommen die Huehner mittags noch etwas frostig aus dem Stall. In der Zeit hat die Sonne aber den Auslauf schon erwaermt, dass er mittlerweile waermer als im Stall ist. Die Temperatur im Stall halten die Huehner auf minimal -20 °C, doch der Auslauf heizt bei -36 °C Tageshoechsttemperatur bis auf -8 °C auf.
Natuerlich haette ich es gern ein bisschen waermer fuer die Huehner, aber eine Beheizung des Stalls waere angeblich gefaehrlicher fuer sie als die Kaelte an sich. Alle Waermeoptionen, die mit offener Flamme arbeiten, sowie auch Waermelampen, stellen eine immense Brandgefahr dar. Gerne haette ich ein paar leicht beheizte Platten aehnlich einer Heizdecke, aber dafuer reicht meine Elektrizitaet nicht aus im Winter. Bevor ich mir Huehner angeschafft habe, habe ich mit Bauern gesprochen, die Huehner ohne Strom und Heizung im Yukon-Winter halten. Aber wenn es dann so kalt ist, dass man sich vor dem Gang auf den Donnerbalken vermummen muss, dann sorge ich mich doch um meine lieben Huehner.
Frosthenne IcicleWaerme steigt nach oben, daher rasten auch die Hennen gern auf hoeheren Sitzstangen.
Trotz den Temperaturen legen die Hennen noch Eier. Sogar mehr als es im Dezember der Fall war. Dreizehn dieser Eier uebergab ich meiner Vermieterin, denn sie wollte gern ein paar Huehner meiner grossen Rassen in ihre Herde integrieren (sagt man das bei Huehnern so? Sind doch eigentlich keine Herdetiere, sie leben eher in einer strikten Hierachie).
Jetzt liegen diese 13 Eier in ihrer Brutmaschine und werden meine Huehner vielleicht bald zu Eltern machen. Das finde ich ganz irre, immerhin sind die Huehner noch nicht mal ein Jahr alt! Dazu kommt, dass es sehr kalt war, als ich die Eier gesammelt habe, einige waren bestimmt angefroren. Nur die, deren Schale aufgeplatzt war, habe ich stattdessen aufgetaut und an Arma verfuettert. Apropos…
Arma
Arma ist schnell und voller Energie und Enthusiasmus. Und voller Unfallpotenzial.
Leider hat sie sich beim Rumtollen irgendwie die Hinterpfote aufgerissen. Es hat geblutet wie irre und man konnte bis auf den Knoechel sehen. Die Wunde wurde vom Tierarzt gesaeubert und geklammert. Durch die mit inbegriffene Narkose schwebte Arma fuer den Rest des Tages in anderen Sphaeren.
Arma unter Drogeneinfluss.
Nach zwei Wochen Leinen- und Verbandspflicht sollten die Klammern entfernt werden. Leider entfernte Arma sich einen Tag vorher ihren Verband selbst und leckte ein paar Stellen an ihrer Pfote wund. Jetzt sind die Klammern draussen, der Verband bleibt trotzdem noch erhalten.
Arma, Gesichtsausdruck wie ausgestopft.
Jetzt ueberlege ich, ob wir fuer sie eine Unfallversicherung abschliessen sollten. Es scheint ja nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie sich mal etwas bricht – und dann ist man gleich mehrere Tausender los.
Ich
Ich selbst bin ein wenig schlapp derzeit. Woran es liegt, weiss ich nicht genau.
Folgende Faktoren koennten dazu beitragen:
Es ist kalt und mein Koerper ist im Winterschlaf.
Mein Immunsystem kaempft insgeheim gegen eine Erkaeltung an.
Der Fakt, dass meine Arbeitsstunden erhoeht wurden und ich jetzt eine 44 h Arbeitswoche habe, schlaegt mir aufs Gemuet.
Ausser verlaengerten Wochenenden habe ich meinen letzten Urlaub im Oktober 2019 gehabt.
Coronamuedigkeit, wir kennen es alle.
Was mir gegen den letzten Punkt hilft, ist meine Kreativitaet in Punkto Maske auszuleben.
Ich im Buero, mit Ganzkopfmaske.
Bei den vorherrschenden Temperaturen muss man draussen eh eine Maske tragen um die Atemwege vor der Kaelte zu schuetzen, Virus hin oder her.
Ich, frostig.
Ausserdem habe ich es geschafft, einen Platz in einem oertlichen Toepferkurs zu ergattern! Zwei Stunden hatten wir schon, natuerlich mit Maske und Abstand. In der ersten Stunde haben wir uns an der Toepferscheibe versucht und in der zweiten Stunde dann die Resultate verfeinert und noch ein wenig mehr getoepfert.
Toepferei, Woche 1.Die gleichen Schalen nach Woche 2, jetzt warten sie auf das erste Feuern.
Jetzt warte ich auf noch laengere Tage und waermeres Wetter. Dann werde ich mich versuchen, davonzustehlen von beiden Jobs und Ski zu laufen. Irgendwo ausserhalb jeglichen Empfangs. Denn ich weiss, dass mir das unheimlich hilft, gegen die Schlappheit oder gegen das Gefuehl, in einem Hamsterrad zu leben. Bewegung in der Natur, nur fuer mich allein. Dann fliessen meine Gedanken, Bewegung kommt in das eigene System und in die Glaubenssaetze, die man fuer sich so geschrieben hat und ich fuehle mich ganz frei.
Frei wie die Skilanglaufspur auf diesem Bergruecken.
Tja und bis das soweit ist, gebe ich mich einfach der Schlappheit und der Kaelte ein wenig hin und mach es mir mit einem Tee und der Waermflasche auf dem Sofa gemuetlich, nur um anschliessend ins Bett zu wandern.