Monat: Dezember 2018

Flusstrip 2018: Tag 5

Auf der Plane, auf der wir schlafen, wird heute Nacht ein besonders lauter Stepptanz von der oertlichen Maeusekolonie aufgefuehrt. Ich hampele herum, damit die Maeuse verjagt werden. Sich bewegende Menschen finden sie naemlich irgendwie gruselig. Doch jetzt bin ich auch wach. Als erste. Es daemmert leicht, also ist es gegen 7 Uhr. Ich stehe auf und entzuende ein Feuer. Das gelingt mir mittlerweile wirklich gut!

Leichter Schneeregen kommt nieder, als ich meine Blase entleere. Es wird irgendwas unter Null Grad sein, aber nicht sehr weit unter Null. Beim Fruehstuecken hoert der Niederschlag auf. Weiter geht es auf den Fluss.

Tyrel sieht mit seinen Adleraugen, wie ein Weisskoepfiger Adleraugenbesitzer einen Fisch erbeutet. Ich erkenne, wie das Wappentier seine Beute schwer fliegend in eine Waldschneise hineinwuchtet. Im Moment, in dem wir in die Schneise sehen koennen, mache ich schnell ein Foto. Es ist ein wenig unscharf, aber man kann erkennen, dass der Vogel ein gutes Fruehstueck erbeutet hat.

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Auf einem abgebrochenen, toten Baum haelt der Weisskopfseeadler seine Beute mit den Greiffuessen und schlingt einen Schnabel voll herunter.

Immer wieder deutet Joe auf geheime Camps an den Flussufern, die nicht auf der Flusskarte verzeichnet sind. Er kennt diesen Fluss wie seine Westentasche; c.a. 20 Sommer lang hat er hier Kanutouristen gefuehrt. Im Herbst hat er dann gejagt, das dann allerdings schon seit 30 Jahren. Alles, was er erzaehlt und fuer zukuenftige Exkursionen nuetzlich sein koennte, notiere ich mit Bleistift auf der Flusskarte. Danach stecke ich meine kalten Finger schnell wieder in die Handschuhe und bewege sie fuer einige Zeit, um warmes Blut in sie hineinzupumpen.

Bei einer Flusswindung greift Tyrel nach dem Fernrohr.

„Kuh.“

Gemeint ist wohl der kleine Schatten im Wasser, anscheinend handelt es sich um eine Elchkuh.

Joe schaltet den Motor aus, die Stroemung erfasst uns, traegt uns weiter und dreht uns dabei langsam im Kreis. Wir drei ergreifen unsere Gewehre. Hat diese Elchkuh einen Verehrer im Gebuesch stehen? Nur Elchbullen duerfen gejagt werden, da das Fehlen einiger maennlicher Elche kaum Auswirkungen auf die Gesamtelchpopulation hat. Das Fehlen einer Elchkuh jedoch ist ein Einschnitt durch die ausbleibenden Nachkommen.

Joe imitiert den Ruf einer willigen Elchin. Doch nichts ruehrt sich. Die Elchbrunft scheint dieses Jahr schon vorbei zu sein. Die Elchbullen hatten entweder schon ausreichend Freundinnen oder haben mittlerweile andere Dinge im Kopf. Die Temperatur spielt eine grosse Rolle bei der Brunft. Dieser Herbst ist aussergewoehnlich kalt, vielleicht vergeht manchem Elch da die Lust.

Nach ein paar Minuten lege ich mein gesichertes Gewehr beiseite und greife zur Kamera, damit ich wenigstens ein paar Fotos mit nach Hause bringen kann.

Auch dieses Jahr kommen wir wieder an den Ueberresten des Unterbaus von dem Schaufelraddampfer SS Klondike vorbei. SS steht hierbei fuer Single Screw Steamship, was bedeutet, dass es sich um ein Dampfschiff mit nur einem Schaufelrad handelt. Das Wasser hat dieses Jahr einen besonders niedrigen Stand, laut Joe den niedrigsten seit 30 Jahren. Daher ist besonders viel des Schiffes freigelegt und wir gehen auf eine Erkundungstour.

Spaeter kommen wir an einer weiteren historischen Stelle vorbei. Eine alte Goldmine. Joe ist ganz begeistert, so viel von der Baggerkonstruktion hat er noch nie gesehen.

Wieder auf dem Fluss bewundern wir noch ein paar Adler. Wir ueberholen zwei andere Jagdgruppen, die allerdings bislang scheinbar auch keinen Erfolg hatten.

Ein wenig spaeter bauen wir wieder unser Lager auf. Eine kleine Angelrute haben wir mittgebracht, die ich erfolglos auswerfe. Ist es nicht verrueckt, dass ich noch nie einen Fisch gefangen habe?

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Tyrel steht im Camp vor dem Feuer und Bergen von gesaegtem Feuerholz.

Eines Tages wird es schon so weit sein. Da wird der erste Fisch am Haken zappeln und auch der erste Elch in der Gerfriertruhe landen. Und bis dahin geniesse ich die Reise dahin.

Flusstrip 2018: Tag 4

Heute morgen zeigt das Thermometer nur -8 Grad an. Durch eine frische Brise fuehlt es sich jedoch um einiges kaelter an. Ich misstraue dem Messergebnis und stelle das Thermometer auf einen etwas abgelegenen Baumstumpf, auf den die Waerme des Feuers mit Sicherheit nicht strahlt. Das hat wohl auch geklappt. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, da ich das Thermometer nicht wiedergefunden habe. Es wird jetzt wohl den ganzen Winter fleissig messen und Ende Juni 2019 die ersten Touristen verwundern.

Dann wieder packen, fruehstuecken, los. Nicht nur ein Thermometer lassen wir zurueck, sondern auch wieder Berge an Feuerholz. Man weiss nie, wer als naechstes an diesen Platz kommen wird; ob er oder sie vielleicht durchnaesst oder kalt ist. Fest steht, dass die wenigsten Flussbesucher eine Kettensaege im Gepaeck haben.

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Mit dem Holzhaufen, den wir zuruecklassen, koennen mehrere Lagerfeuer entzuendet werden.

Auf dem Fluss gilt es nach Tieren Ausschau zu halten. Sich anhand der Karte zu orientieren und Notizen zu machen. Die Umgebung einzusaugen und versuchen so viel wie moeglich zu speichern von der Gelassenheit. Was hier passiert, passiert einfach. Und dann wird besonnen darauf reagiert. Ich merke, wie meine Bewegungen gleichfoermiger geworden sind. Die Schritte sind langsamer, aber sicherer.

Es gibt hier keine Termine, keine Hast. Denn durch Eile geschehen Fehler, die man sich hier nicht leisten kann.

Wir haben schon drei noch warme Feuerstellen in Ufernaehe schwelen gesehen. Weitere Jaeger muessen uns ein bisschen voraus sein. Ansonsten seit zwei Tagen keinen anderen Menschen gesehen. Wenn ein Krieg, eine Wirtschaftskrise oder die Pest ausgebrochen ist, wir wissen es nicht. Fuer uns zaehlen andere Dinge. Wie frisch sind die Schwarzbaerenspuren am Ufer? Sind die Wolken am Horizont so leicht wie sie aussehen oder bringen sie Schnee? Sind die Wellen vor uns aufgebracht durch grosse Felsen im Flussbett oder ist das Wasser dort einfach seichter?

Waehrend ich nach Bewegungen Ausschau halte, verfalle ich in suesse Tagtraeume. Ich betrachte mein Leben moeglichst neutral und frage mich, was ich noch verbessern kann. Eine Sache faellt mir ein, ich sollte mich mehr dehnen. Erste Erfolge konnte ich bereits erzielen durch regelmaessige Dehnuebungen, doch dann fing ich mit dem Laufen an und alles wurde wieder unbeweglicher. Voll egal, dann fang ich einfach nochmal von vorne an.

Am Ende des Tages erreichen wir Hootalinqua, wo die Fluesse Yukon und Teslin ineinanderfliessen. Das transparente Wasser des Teslin weicht dem tuerkis-flaschengruen des Yukon und ich fuehle mich durch diese besondere Farbe schon sehr heimisch. Zur Goldrauschzeit vor einem guten Jahrhundert war hier ein wichtiger Handelsstuetzpunkt und eine Polizeistation. Goldgraeber kamen von weit her, um ihre Claims zu registrieren und Trapper tauschten Felle gegen Gebrauchsgegenstaende. Da in heutiger Zeit die Stelle sehr beliebt zum Lagern ist, gibt es so gut wie kein Feuerholz mehr in der Umgebung. Wir haben bei der letzten Flussbiegung Halt gemacht und uns genuegend Holz fuer die Nacht und den Morgen mitgebracht.

Zum Abendessen gibt uns Joe jedem ein Grizzly Chilli Wuerstchen ab. Zum Nachtisch gibt es noch eine Scheibe Christstollen. Das Leben ist gut. 🙂