Die Erinnerungen werden hochgekocht

Rückblick 2014:
Schwer schnaufelnd tapse ich Schritt für Schritt bergauf. Der Wind peitscht mir den Regen ins Gesicht, weiter oben wartet noch Hagel darauf, mir ein Gesichtspeeling zu verpassen. Nicht viele Leute würden bei dem Wetter freiwillig vor die Tür gehen, doch ich fahre in den Harz, um den Tag zu verwandern. Nicht trotz des Wetters sondern fast deswegen. Nur in den ungemütlichsten Zeiten kann ich diese wunderschöne Natur mal für mich haben ohne hinter der nächsten Kurve gleich ein Jack-Wolfskin-Ehepaar zu treffen.
Eigentlich teile ich ja gerne (bis auf die Nachos mit heißer Käsesoße im Kino!! Die gehören ganz mir.). Aber wenn ich ganz allein im Wald und in den Bergen bin, da fühle ich mich frei und gleichzeitig verbunden mit allen anderen Lebewesen dieser Welt. Neben meinem Vollzeitjob inklusive Rufbereitschaft und meiner Masterarbeit, die ich nebenbei auch noch irgendwie schreibe, brauche ich diese Momente, um kurz durchatmen zu können.
Tropfnass trotz Goretex-Rüstung komme ich nach stundenlangen Wanderungen oft an einer kleinen Gastwirtschaft vorbei. Häufig bin ich einer von wenigen Gästen, da man nicht zu allen Wirtschaften mit dem Auto fahren kann. Ich bestelle mir einen heißen Tee und, falls auf der Speisekarte vorhanden, eine Soljanka. Wohlschmeckender werde ich selten wieder warm.

Wenn diese Masterarbeit vorbei ist, mache ich Urlaub. Allein! Und da, wo möglichst wenig Menschen wohnen. Berge müssen da sein und Wälder. Auf jeden Fall Bisons, die sind klasse. Und Nordlichter möchte ich auch wieder sehen.
Nach kurzer Recherche stellt sich heraus, dass ich all diese Dinge nur in Kanadas Yukon gleichzeitig vorfinde. Kurz hatte ich auch mit Alaska geliebäugelt aber erstens werden Bisons da erst wieder angesiedelt und zweitens wohnen da einfach zu viele Menschen! Also solls der Yukon sein…

2017:
Die Berge, Nordlichter, Wälder und Bisons sind mittlerweile mein zu Hause geworden. Hier muss ich nur vor die Tür gehen und kann stundenlang zu dramatischen Landschaften wandern, ohne am schönsten Sommertag einer Menschenseele zu begegnen. Aber irgendetwas fehlt…

Was das ist, fällt mir wie Schuppen aus den Haaren, als Jon mich anruft. „Du wirst es nicht glauben aber ich habe die Ladefläche voller Kartons mit astreinem Obst und Gemüse als Hühnerfutter bekommen! Leider muss ich die nächsten Tage arbeiten aber wenn du magst komm morgen früh hoch zum Haus und tob dich in der Küche aus!“

Das muss man mir nicht zweimal sagen. Ich? Essen? Umsonst? Klaro! 🙂 Am nächsten Morgen bewunderte ich also einen großen Stapel Kartons voller Obst und Gemüse, das nicht mehr verkäuflich war. Häufig ist der Apfel einfach zu klein oder hat eine kleine Druckstelle und schon wird er ausgemustert. Einerseits kann man den Kopf darüber schütteln aber andererseits suche ich mir ja auch nur die schönsten, saftigsten Äpfel raus, wenn ich einkaufen gehe. Ich versuchte also, mich ausschließlich über diese riesige Auswahl zu freuen.

Was folgt, sind zwei volle Tage in der großen Küche im Haus. Nach der Prüfung meiner zur Verfügung stehenden Mittel weiß ich auch, was mir letztens noch gefehlt hat: Letscho!
In Westdeutschland weitestgehend unbekannt ist Letscho das Herz einer guten Soljanka… Neben sämtlichen Wurst- und Fleischresten, die man im Haus hat. Es besteht größtenteils aus Paprika, Tomaten und Zwiebeln und ist auch so gelöffelt der Hammer.
Nach dem Letscho quäle ich meine liebste Rezepteseite Chefkoch.de noch weiter und stelle mit kleinen Abwandlungen noch Bratapfelmarmelade, Apfel-Chutney, Tomatensauce und Beerengelee her. Jon hat auch einen Trocknungsschrank, in dem ich dünne Apfelschnitze trockne.
11kg Tomaten später bin ich erschöpft aber glücklich.

Eine Menge Gläser werden mir die nächste Zeit versüßen und das Obst und Gemüse hat doch noch jemanden glücklich gemacht. Nur das erste Glas Letscho musste schon am Abend dran glauben. Nun ist hier alles genau so, wie es sein soll. 🙂

Auch mein Ohr hat sich regeneriert. Nachdem ich es unterkühlt habe, pellt sich die Haut jetzt. Ich habe mir also keinen Frostbite eingehandelt, sondern einen Frotnip, wie man hier sagt. Auf Deutsch: ich wurde nicht vom Frost gebissen, er hat mich nur angeknabbert. Bin wohl zum Anknabbern 😉

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Mein linkes Ohr von hinten/ unten fotografiert. Das Ohrläppchen zieren ein paar Hautfetzen. Alles halb so wild. 🙂

 

11 Kommentare

  1. Und ich sag es: Mach eine Imbissbude auf! So wie der Typ, der auf dem Felsen von Gibraltar Thüringer Rostbratwurst verkauft. Die Leute löhnen locker 5 € dafür. Du könntest dann mit dem Slogan: „Last Soljanka bevor the Polarkreis“ werben….hihi! Aber ich weiß ja, in Wirklichkeit bist du in Amsterdam und arbeitest als Künstlermodel……..Beweis kommt per Mail, wenn ich das hinkriege. Viele leckere Stunden beim Soljanka futtern wünscht Muddi

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    1. Hey Muddi,
      meinst du wirklich hier gibt es einen Absatzmarkt für Soljanka? Den gibt es ja kaum in Westdeutschland, auch wenn ich das nicht verstehen kann. Wie auch immer, die Zeit wird zeigen womit ich hier mein Unwesen treiben werde. Erstmal brauche ich die Arbeitserlaubnis und dann können sich alle noch wärmer anziehen! 😉
      Liebe Grüße von der Hummelfrau! 🐝

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  2. Du Küchenqueen! Hat Tyrel dir schon eine Schürze aus Bärenleder genäht? 😉 Man gut, dass du bereits vor Jahren in Thiede die Selbstversorgung erprobt hast. Wo ist eigentlich das coole Buch darüber inkl. Imkern geblieben? Ich bin überzeugt, du könntest in nahezu Allem ein Startup hochziehen…. Außer Erbsenanbau!!! 😂😂😂😂

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    1. Das Buch ist eins der ganz wenigen, das die Auswanderung mitgemacht hat. 😊
      *Hust* ja, Bohnen… Sie haben als Leichenpflanze bestimmt zwei Jahre lang meinen Balkon geziert! Aber es hatte auch was Philosophisches… wenn man lange genug drüber nachdenkt bestimmt! 😓🙏🌟

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  3. Der Service von alteingesessenen ostdeutschen Gaststätten ist legendär schlecht. Wahrscheinlich war die Soljanka schon 1970 auf der Speisekarte und wurde seitdem nicht wieder angepasst 😉
    Soljanka kommt ja eher aus dem osteuropäischen Raum, dient aber eher als Vorspeise, wie mir Wikipedia weiß machen möchte :O
    Wenn viel Zeit vorhanden ist, dann ist Kochen eine feine Beschäftigung. 🙂
    Bei der Frostattacke kann man ja froh sein, dass du nur einen „nip“ Anknabbern bekommen hast. Steigerungsform ist „bite“ – der Biss. Die nächste Form wäre dann „rip“ abreißen?? Die Ultimative Frostattackte hatte der T1000 mal abbekommen, worauf er auch Probleme mit der anschließenden Zusammensetzung hatte.
    Ich hoffe die unwissenschaftlichen Steigerungsformen bleiben dir erspart! 😉

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    1. Auch beim T1000 war die Frostattacke ja nur temporär. Spätestens in Frühling wär die Suppe wieder zusammen geflossen und weiter gehts. Von daher bleibt das Risiko wohl überschaubar. 😉
      Soljanka würde ich auch zum Nachtisch essen, Hauptsache es gibt sie überhaupt. Egal wo und mit welchem Service, ich kann sie uneingeschränkt empfehlen. 🙂

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  4. Das hast Du so wunderschön geschrieben..dieser Übergang von der einen Natur zur Wunschnatur. Hach, da spüre ich als Stubenhocker sogar schon den Ruf der Wildnis:D

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    1. Schmeckt super! Bei deinem nächsten Besuch in den neuen deutschen Bundesländern bestell dir unbedingt irgendwo eine Soljanka! Tomate-Paprika-Fleisch-Eintopf mit genau dem richtigen Geschmack. Mjam. 😋🍴🍛

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